Eine Gemeinde im Ausnahmezustand

Mitglieder des Gemeinderates und der Baukommission von Fehren fühlen sich in ihrer Arbeit beeinträchtigt und möchten am liebsten den Bettel hinwerfen.

Gewitterstimmung über dem Gemeindehaus: Baukommission und Gemeinderat überdachten den Verbleib im Amt. Foto: Bea Asper

Ein Mitarbeiter der Gemeinde Fehren hielt sich bei seinem privaten Bauvorhaben nicht an die bewilligten Pläne. Er machte aus einem Einfamilienhaus eine Liegenschaft mit zwei Wohnungen. Der Baukommission von Fehren fiel dies bei der Bauabnahme nicht auf. Eine Einwohnerin, die früher mit dem Gemeindearbeiter liiert war, wandte sich an den Kanton. Das Solothurnische Baudepartement ging der Sache nach und stellte fest, dass der bewilligte Bau nicht zonenkonform ist und verfügte den Rückbau. Gemäss der Verfügung vom März 2024 muss die örtliche Baukommission den Rückbau kontrollieren und dem Kanton Bericht erstatten. Dieses Verfahren ist eines von vielen, welches die Beschwerdeführerin gegen die Behörden von Fehren in Gang setzte. Ihrer Meinung nach gab es «noch weitere Unregelmässigkeiten aufzudecken». Deswegen liess sie keine Gelegenheit aus, bei Ausschreibungen der Gemeinde zu intervenieren. In ihren persönlichen Ermittlungen reizte sie das Öffentlichkeitsprinzip aus und verlangte Einsicht und Rechenschaft über alles. Dabei hat sie nach Ansicht der Behördenmitglieder Grenzen überschritten. Sie monieren, sie würden nun schon seit Jahren mit persönlichen Schreiben, Unterstellungen und Anschuldigungen überhäuft werden. Sie fühlten sich von der Einwohnerin sogar bedroht und schalteten die Polizei ein. Dass von der Einwohnerin eine Gefährdung ausgehe, wird im Polizeibericht, der dieser Zeitung vorliegt, nicht bestätigt. Der Gemeinderat griff dann zu einem aussergewöhnlichen Mittel: Er erliess gegen die Einwohnerin ein Hausverbot. Sollte die Frau trotzdem noch das Gemeindehaus betreten, würde sie wegen Hausfriedensbruch angeklagt werden. Ausserdem beschloss der Gemeinderat nur noch über einen Anwalt mit der Einwohnerin zu kommunizieren. Die Betroffene wandte sich ebenfalls an einen Rechtsanwalt und bat diesen, dafür zu sorgen, dass die Einschränkungen gegen sie aufgehoben werden. «Die 10000 Franken, die der Gemeinderat für Anwaltskosten ausgibt, könnte er einsparen, indem er mich anhört und mir Antworten auf meine Fragen gibt», sagt Greth Wiggli gegenüber dieser Zeitung. «Schiesst die Gemeinde Fehren mit Kanonen auf Spatzen? Im Raum steht die Frage der Verhältnismässigkeit», ist von Anwalt Rémy Wyssmann zu erfahren. Seine Mandantin habe es verpasst, innerhalb der zehntägigen Frist, das Hausverbot beim Regierungsrat anzufechten. Wyssmann stellt insgesamt fest, dass die Fronten verhärtet sind.

Verleumdung, Drohung, Stalking

Zu einer Mediation ist es nie gekommen, weil die Streitparteien bereits am Versuch der Terminfindung scheiterten. Der Gemeinderat von Fehren machte den Streit nun zum offiziellen Thema. In einem Schreiben an die Einwohnerschaft hält der Gemeinderat fest, dass «verschiedene Umstände die Arbeitsfähigkeit des Gemeinderates beeinträchtigen. Wir werden von einzelnen Personen mit Verleumdungen, Drohungen, Stalking und Unterstellungen konfrontiert, die uns viel Zeit, Energie sowie die Steuerzahlenden viel Geld kosten.» Dies führe zu persönlich sehr belastenden Situationen. Dasselbe gelte für die Baukommission. Den Behördenmitgliedern sei bewusst, welche Verantwortung sie tragen. Sie sähen sich nun aber gezwungen, den zukünftigen Verbleib im Amt zu überdenken. Zu sofortigen Rücktritten kommt es nicht. Gemeindepräsidentin Nicole Ditzler und ihre Ratskollegen, die seit vielen Amtsperioden die Geschicke der Gemeinde leiten, teilten an der Gemeindeversammlung vom Montag mit, dass sie eine geordnete Übergabe im nächsten Jahr zu Beginn der neuen Legislatur anstreben.

An der Gemeindeversammlung nahmen 36 Stimmberechtigte teil. Die Genehmigung der Rechnung 2023 war unbestritten und das Resultat erfreulich. Anstatt dem budgetierten Verlust von 55000 Franken verbucht Fehren einen Ertragsüberschuss von 240000 Franken. Die Rechnungsprüfungskommission attestierte dem Gemeinderat eine tadellose Arbeit.

Unter Verschiedenem ging es dann aber emotional zu und her. Die Gemeindepräsidentin verlas ein Statement, in welchem sie betonte, dass sich die Behördenmitglieder seit vielen Jahren mit bestem Wissen und Gewissen zum Wohle der Gemeinde einsetzten und dabei mehr ertragen mussten, als das Amt verlangt. «Wir würden lügen; Geld verprassen; wir seien Filz und würden Amtsverweigerung begehen», resümierte Ditzler die Vorwürfe und gab zu bedenken: «Wir kämpfen mit Rekursen und Aufsichtsbeschwerden, erhalten bis zu 60 Mails von einer Person in einem Monat und sollen gleichzeitig dafür sorgen, dass sich die Gemeinde positiv entwickelt».

Applaus für den Gemeinderat

Die meisten Anwesenden erhoben sich von den Stühlen und brachten mit Applaus zum Ausdruck, dass sie sich hinter den Gemeinderat stellen. Die betroffene Einwohnerin bat um das Wort und versuchte ihre Sicht der Dinge darzulegen. Sie durfte sich im Gemeindesaal aufhalten, weil die Teilnahme an Gemeindeversammlungen vom Hausverbot ausgenommen ist. Sie sagte in die Runde, dass viele der Anwesenden von der Vetternwirtschaft profitiert hätten. Sie wurde ausgelacht und in der lebhaften Debatte öffentlich als «dumme Kuh» beschimpft. Von Baupräsident Roger Gigandet erhielt sie die Bezeichnung «Suppenhuhn». Er machte darauf aufmerksam, dass heutige Behördenmitglieder «alte Geschichten» ausbaden müssten. Die Gemeindepräsidentin stand vor der schwierigen Aufgabe, eine Debatte zuzulassen, doch auch für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Sie ging nach einem Moment der Emotionen zu den positiven Meldungen über und machte auf bevorstehende Anlässe aufmerksam. «In diesem Jahr findet wieder eine 1. August-Feier statt», sagte sie. Zu Beginn der Versammlung hatte der Gemeinderat darauf hingewiesen, dass kein Wortprotokoll geführt werde und es auch keine Tonbandaufnahme gebe.

Bis 250 Fälle behandelt der Kanton

In Solothurn nachgefragt, heisst es, dass Fehren nicht die einzige Gemeinde ist, welche die kantonalen Behörden auf Trab hält. «Im Kanton Solothurn gibt es 107 kommunale Baubehörden und der Kanton hat pro Jahr zwischen 200 und 250 Fälle zu behandeln, bei denen Entscheidungen der örtlichen Baubehörde in Frage gestellt werden», erklärt Victor von Sury, Leiter Rechtsdienst des Bau- und Justizdepartements. Dass der Kanton gänzlich eingreifen muss, komme äusserst selten vor. Zu einer Bevormundung — der Regierungsrat ersetzte die örtliche Baukommission durch einen Sachwalter — sei es in den letzten Jahren nur in der Gemeinde Seewen gekommen, sagt von Sury.

Die Datenschutzbeauftragte des Kantons Solothurn, die unter anderem ein Auge darauf hat, dass sich die Gemeindebehörden an das Öffentlichkeitsprinzip halten, hat ebenfalls alle Hände voll zu tun. Die Zahl ihrer Dossiers sind innert Jahresfrist von 303 auf 410 angestiegen. Dass im Kanton Solothurn die Sitzungen der Gemeinderäte und die damit verbundenen Unterlagen öffentlich sind, ist schweizweit eher die Ausnahme. Die wenigsten Kantone haben das Öffentlichkeitsprinzip eingeführt. Die gläserne Tätigkeit sorge für Transparenz und stärke das Vertrauen in die Behörden, argumentiert der Kanton Solothurn. Für manche Gemeindebehörden ist es wohl Fluch und Segen zugleich.

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