Zwischen Reinach, Rom und Ohio

Aus keiner Gemeinde im Baselland stammen so viele Schweizergardisten wie aus Reinach. Ein His­toriker und eine Nach­fahrin erforschen das Leben des ersten bekannten Gardisten aus der Gemeinde.

Auf den Spuren Rüetschlins: (v. l.) Kunsthistoriker Antonio Russo zeigt Eileen Mössle und ihrer Tochter Laura Mössle die Heimatgemeinde ihrer Vorfahren. Foto: Fabia Maieroni

«Hier im alten Dorfkern muss das Haus gestanden sein, das den ­Rüetschlins einst gehörte», sagt Antonio Russo zu seinen Gästen. Sie nicken und betrachten die historischen Bauten interessiert. Eileen und Laura Mössle besuchen Reinach zum ersten Mal. «Endlich lernen wir die Gemeinde kennen», sagt Eileen Mössle. Der Grund für ihren Besuch: eine familienhistorische Recherche, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht.

Ihr Stadtführer ist Antonio Russo, der aus Reinach stammt und in der Schweizergarde in Rom gedient hat. Der Kunsthistoriker und Lehrer wohnt zurzeit in Dornach und schreibt für die Publika­tionsreihe des Gardemuseums eine Arbeit über Schweizergardisten in Basel und der Nordwestschweiz. Bei seinen Recherchen entdeckte Russo, dass ­Reinach von den Gemeinden rund um Basel bisher mit Abstand die meisten Schweizergardisten stellte. «Im Wallis wäre es Naters, wo sich auch das Gardemuseum befindet. Reinach wäre quasi das Naters von Basel», sagt Russo mit einem Schmunzeln. Das sei nicht verwunderlich, denn Reinach war wiederholt die grösste katholische Gemeinde des Kantons.

Bei seinen Recherchen entdeckte Russo den ersten bekannten Basler Schweizergardisten: Franz Johann Rüetschlin. Doch Russo war nicht der Einzige, der sich für den Reinacher interessierte. Bei seinen Recherchen lernte der Kunsthistoriker Eileen Mössle kennen, die zeitgleich Nachforschungen über ihre Vorfahren betrieb. «In unserer Familie ging die Geschichte um, ein Vorfahre, der aus Reinach stammte, habe in der Schweizergarde in Rom gedient. Seine Garde-­Urkunde, die meine Grossmutter noch hatte, lässt sich leider nicht finden», sagt Mössle. Russo und Mössle forschen seither gemeinsam über das Leben von Rüetschlin.

Familie wandert nach Amerika aus

Der Reinacher Franz Johann Rüetschlin war der erste bekannte Basler Gardist (Reinach gehörte bis 1833 zu Basel). In Rom diente er bis ins Jahr 1830. Die Rüet­schlins gehörten in Reinach zu den angesehenen Familien – auch wegen ihrer Beziehung zu anderen alteingesessenen Familien: Sein Vetter etwa war Bürgermeister Heinrich Dollinger, Paten und Verwandte gehörten den Familien Feigenwinter, Martin, Meier, Kury, Glaser und Grellinger an.

Doch die Rüetschlins hielt es nicht in Reinach. «Die Familie ist heute in Reinach in der männlichen Linie nicht mehr vertreten, und die Spuren der meisten verlieren sich ab den 1830er-Jahren, was mich stutzig machte», erklärt Russo. «Wie ich vermutet hatte, war die siebenköpfige Familie 1832 zusammen mit Heinrich Dollinger, dem gleichnamigen Sohn des Grossrats, nach Amerika ausgewandert. Dollinger heiratete später eine Rüetschlin.» Gemeinsam mit weiteren Siedlern, fast ausnahmslos Familien aus der Deutschschweiz und Süddeutschland, gründeten sie am Black Fork Mohican River die katholische Siedlung Shelby in Ohio, die heute etwas mehr als 9000 Einwohner zählt. Sie gehörten damit zu den ersten 4000 nachweisbaren Schweizern, die ab 1800 nach Amerika auswanderten.

«Doch Franz Johann war nicht auf der Passagierliste nach Amerika», erklärt Mössle. Die Spur verliert sich nach seinem Dienst bei der Schweizergarde 1830.

«Es gibt keine Todesanzeige oder Ähnliches. Deshalb forschen wir weiter, was mit ihm geschehen sein könnte», so Russo. «Wir vermuten, dass er als Missionar nach Amerika ging, wie Martin Kundig aus Schwyz, der mit ihm in die Garde eintrat.» Heute wohnen noch immer Nachfahren der Rüetschlins in den USA. Der Name hat sich inzwischen aber von Rüetschlin in amerikanisierte Formen wie Ritchlin ­geändert. Russo schätzt, dass aus diesem Reinacher Familienzweig der Rüetschlins inzwischen Hunderte, wenn nicht sogar über tausend lebende Nachkommen entsprungen sind.

Eileen Mössle ist eine Nachfahrin in der fünften Generation. Vor Jahren ist sie aus den USA in die Nähe des Bodensees ausgewandert. Die Verbundenheit zu ihren Vorfahren hat sie nie verloren – auch, weil sie leidenschaftlich gerne historische ­Ahnenforschung betreibt.

In der Familie der Mössles hat sich der katholische Glaube gehalten. Tochter Laura Mössle hat ihre Promotion in Theologie erlangt und anschliessend an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom als wissenschaftliche Mitarbeiterin geforscht. Über sie erhielt die Familie den Kontakt zum Archiv der Schweizergarde und die Bestätigung, dass ihr Vorfahre von 1827 bis 1830 in der Garde diente. Was Laura nicht wusste: Franz Johann hatte wie sie fast 200 Jahre zuvor dort ebenfalls Theologie studiert. «Es ist spannend, zu sehen, woher die eigene Familie stammt», sagt Eileen Mössle bei einer Tasse Kaffee in der Reinacher Bäckerei Grellinger. Stadtführer Russo hat den Ort bewusst ausgewählt, schliesslich hatten Mössles – genau wie Russo auch – die Grellingers als Paten. Und dort, wo die Bäckerei heute steht, stand gegebenenfalls auch das Haus der Rüetschlins. «Jedenfalls verkaufte Johann senior einen Teil seines dortigen Grundstücks für den Bau des Dorfbrunnens und vor der Auswanderung wohl auch den Rest seines Besitzes», so Russo.

Eileen und Laura Mössle haben bei ihrer Abreise am nächsten Tag Eindrücke von Reinach und neues Wissen über ihren Vorfahren im Gepäck. «Ich bin gespannt, was wir noch über Franz Johann Rüetschlin herausfinden», sagt Eileen.

In der kommenden Ausgabe des Wochenblatts wird ein Gastbeitrag von Antonio Russo über seine Recherchen erscheinen.

Schweizergardisten in Nikolauskirche

Der Verein der Freunde der Schweizergarde organisiert am Sonntag, 26.  Januar, in der Nikolauskirche in Reinach ein Konzert mit dem Dirigenten des Papstes. Am Sonntag, 2. Februar, findet die Jahresversammlung der ehemaligen Schweizergardis-ten in der gleichen Kirche statt. 

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