Jeker und Urech im Streitgespräch

Am 9. März möchten Sibylle Jeker (SVP) und Daniel Urech (Grüne) den Sprung in die Regierung des Kantons Solothurn schaffen. Die bz hat die beiden Kandidierenden aus dem Schwarzbubenland zum grossen Interview getroffen.

Treten bei den Wahlen gegeneinander an: Sibylle Jeker und Daniel Urech. Foto: Kenneth Nars

Seit 1991 ist das Schwarzbubenland ununterbrochen in der Regierung vertreten. Weshalb soll das so bleiben?

Sibylle Jeker: Zuerst: Eine Regierungsrätin oder ein Regierungsrat vertritt den ganzen Kanton. Ich finde es aber wichtig, dass auch die ländlichen Gemeinden im Regierungsrat vertreten sind und nicht nur die Städte.

Daniel Urech: Die Frage hat auch eine staatspolitische Dimension. Das Verständnis für das Schwarzbubenland ist bei einer Person, die hier aufgewachsen ist, deutlich grösser als bei jemandem, der die Region wenig kennt.

Der SVP ist die wählerstärkste Partei des Kantons, hatte aber noch nie eine Vertretung in der Regierung. Wieso soll es mit Ihnen gelingen?

Jeker: Bisher hiess es von den anderen bürgerlichen Parteien immer, man werde einen Kandierenden der SVP unterstützen, wenn diese Person «anständig politisiere». Die Spitzen dieser Parteien unterstützen auch mich nicht. Dennoch bin ich überzeugt, dass ich mehrheitsfähiger als die meisten früheren Kandidierenden bin. Ich mag es, in der Exekutive zu arbeiten und mit den anderen Mitgliedern Lösungen zu finden, anstatt mit dem SVP-­Parteibüechli Politik zu betreiben. Ganz entschieden bin ich keine Parteisoldatin. Für einige Parteiexponenten bin ich zu anständig, wobei für die Partei klar war: Mit einem Hardliner kann man nicht in die Regierung einziehen.

Urech: Es gibt schon einen Grund, weshalb es die SVP noch nie in die Solothurner Regierung geschafft hat. Und das hat weniger mit den Kandidierenden zu tun als mit dem Kurs der Partei und ihrer Leitung. Sie agiert oft sehr polemisch und greift auch Partner wie den Freisinn an. Du, Sibylle, bist in einer Partei, die von vielen im Kanton als wirtschaftsfeindlich angesehen wird aufgrund ihrer Ablehnung der neuen Verträge zwischen der Schweiz und der EU, die gerade für unsere Region sehr wichtig sind.

Jeker: Wir betreiben Oppositionspolitik, da man uns nicht einbindet. Beim Energiegesetz haben sich die Linken mit der FDP zusammengetan. Wir hatten jedoch das Volk auf unserer Seite. Es hat am 9. Februar das Gesetz wuchtig abgelehnt.

Urech: Die SVP konnte die Mehrheit mit einer zugespitzten und auf Angst basierenden Kampagne überzeugen, von der ich weiss, dass du, Sibylle, nicht hinter jeder Aussage stehen konntest. Es ist sehr schade, dass wir das Energiegesetz nicht durchgebracht haben, aber das Ergebnis ist zu akzeptieren. Jetzt gilt es, auf neuer Basis Lösungen zu finden.

Sibylle Jeker, Ihre Partei hat kürzlich den Rücktritt der Gesamtregierung gefordert, weil diese beim Kauf einer Liegenschaft in Solothurn laut Bundesgericht die Kompetenzen überschritten hatte. Wie fanden Sie das als Regierungskandidatin?

Jeker: Eine schwierige Situation für mich. Mein Team kämpft darum, dass wir Stimmen bis in die Mitte holen. Umgekehrt ist es so, dass unsere Partei auch laute Stimmen braucht, die eine klare Politik betreiben. Mit dem Kantonalpräsidenten und Nationalrat Rémy Wyssmann hat die SVP einen der aktivsten und besten Parteipräsidenten im Kanton. Im Gegensatz zu mir kandidiert er aber nicht als Regierungsrat. Seine Rücktrittsforderung an die Adresse der Regierung war aus meiner Sicht verständlich.

Urech: Sagen wir es deutsch und deutlich: Deine Partei ist dir mit dieser Aktion in den Rücken gefallen. Das lässt vermuten, was man vielerorts in der Schweiz sieht: Die SVP steht häufig nicht hinter ihren Regierungsvertreterinnen und -vertretern. Das ist leider die Art und Weise, wie diese Partei politisiert.

Die SVP steht für Isolationismus und ist gegen Europa. Aus Sicht des Schwarzbubenlands, das wirtschaftlich eng mit der Region Basel verknüpft ist, wären Sie nicht die richtige Regierungsrätin.

Jeker: Das sehe ich anders. Die Solothurner Handelskammer plante im Thierstein einen Anlass zum Thema EU und lud Unternehmen ein. Kaum jemand hatte Interesse, und das aus gutem Grund: Die Wirtschaft im Thierstein ist eine KMU-Wirtschaft, die zu grossen Teilen in sich funktioniert. Für sie ist die EU weit weg. Mit dem Rahmenabkommen werden wir viele Regelungen übernehmen müssen, damit wird ein Bürokratiemonster geschaffen. Die KMU-Wirtschaft wird darunter stark leiden.

Urech: Da muss ich vehement widersprechen. Die Wirtschaft im Kanton Solothurn ist zu grossen Teilen exportorientiert, vielleicht nicht im Thierstein, aber zum Beispiel im Gäu und hier in der Region Basel. Unternehmen in der Medizinaltechnik oder der Feinmechanik sind auf einen funktionierenden Marktzugang in die EU angewiesen.

Jeker: Dazu haben wir ein Freihandels­abkommen.

Urech: Damit ist es doch nicht getan. Kommt hinzu: Es gibt weitere Bereiche, die wichtig für unsere Wirtschaft sind, wie zum Beispiel das Stromabkommen mit der EU. Oder nehmen wir die Wissenschaft, zum Beispiel den Zugang der Schweiz zu den Forschungsabkommen. Wir sind dringend auf gute und stabile Beziehungen mit der EU angewiesen.

Jeker: Wir dürfen nicht zu Bittstellern bei der EU werden, sondern müssen auf Augenhöhe mit der EU verhandeln können. Mit dem vorliegenden Rahmenabkommen ist das nicht der Fall. Es schwächt – einmal mehr – unsere Demokratie.

Urech: Das sehe ich diametral anders: Was unsere Diplomatinnen und Diplomaten in Brüssel ausgehandelt haben, ist fantastisch – institutionalisierte Rosinenpickerei. Was die Schweiz dringend benötigt, konnte sie im Verhandlungsergebnis festhalten. Ich hoffe sehr, dass das in den nächsten drei Jahren bis zur Abstimmung nicht zerredet wird.

Die maroden Kantonsfinanzen sind in aller Munde. Der Kantonsrat hat das von der Regierung vorgelegte 60‑Millionen-Sparpaket bewilligt. Umstritten sind die enthaltenen Ablastungen an die Gemeinden. Wie soll es auf dem Sparkurs weitergehen?

Urech: Die Ablastungen, die im Paket im Umfang von 12 Millionen Franken pro Jahr vorgeschlagen wurden, finde ich nicht gut. Es wird auch nicht gespart, wenn man Kosten einfach von der einen Staatsebene auf die andere umschichtet. Dasselbe droht nun beim grossen Sparpaket des Bundes. Die Gemeinden sind ohnehin mit einem wachsenden Aufgabenportfolio konfrontiert, zum Beispiel beim Alter. Dass der Kanton da teilweise bereits mit Erfolg versucht hat, billig davonzukommen, stört mich.

Wie kann denn der Kanton seinen Haushalt ins Lot bringen?

Urech: Eine grosse Frage. Ich meine, dass wir angesichts des starken Spardrucks umgekehrt auch bei den Einnahmen tätig werden müssen. Wir Grünen haben vorgeschlagen, dass ein höherer Anteil aus der LSVA dem ordentlichen Staatshaushalt zugute kommt statt in die gut finanzierte Strassenkasse gesteckt wird.

Jeker: Was wirtschaftsfeindlich wäre …

Urech: Überhaupt nicht. Und zulässig wäre als Massnahme. Das hätte jährlich 5 bis 6 Millionen gebracht. Leider wurde das im Parlament abgelehnt.

Frau Jeker, Ihr Rezept zur Gesundung des Haushalts?

Jeker: Ich finde es vor allem wichtig, dass wir das von Regierung und Parlament mühsam geschnürte Paket nun nicht wieder aufmachen und beginnen, alles zu hinterfragen. Ich war die einzige SVP-Kantonsrätin, die dieses Paket mitgetragen hat. Die Furcht vor einer unheiligen Allianz zwischen rechts und links, die das Paket hätte zu Fall bringen können, war gross. Dann hätten wir keinen einzigen Franken gespart. Ich teile aber deine Ansicht, lieber Daniel, dass mit den Gemeinden nicht korrekt umgegangen wurde. Die Fronten zwischen Regierung und Gemeinden sind verhärtet. Hier Entspannung herbeizuführen, sähe ich auch als meine Aufgabe in der Regierung.

Herr Urech, Sie warfen der SVP zuvor vor, sie politisiere an den Bedürfnissen der Solothurnerinnen und Solothurner vorbei. Ihre Partei hat gerade einmal einen Wähleranteil von 10 Prozent. Das rechtfertigt keinen Anspruch auf einen Sitz in der Regierung.

Urech: Schaut man das rein mathematisch an, dann hätten im Kanton Solothurn fünf Parteien Anspruch auf einen Sitz. Doch letztlich wählt das Volk. Wenn man die Kräfte mit «Grün» im Namen bündelt, dann kommen sie auf einen Wäh­leranteil, der einen Sitz in der Regierung ohne weiteres rechtfertigt. Die Grünen-Vertretung in der Regierung in den vergangenen acht Jahren hat sich bewährt. Ich trete ohne schlechtes Gewissen an.

Eine repräsentative Umfrage sieht Sie auf dem letzten Platz der acht Regierungskandidierenden.

Urech: Das fuchst mich natürlich etwas. Die Umfrage hat aber auch gezeigt: Ich bin jener Kandidat, der am meisten zusätzliche Stimmen über die eigene Partei hinaus holt. Als Gemeindepräsident von Dornach habe ich unter Beweis gestellt, dass ich Majorzwahlen gewinnen kann. Laut der Umfrage liege ich zudem nur unwesentlich unter dem Ergebnis meiner Parteikollegin Brigit Wyss im ersten Wahlgang 2017. Mit anderen Worten: Da ist noch überhaupt nichts gelaufen, im zweiten Wahlgang ist vieles möglich.

Sibylle Jeker, gemäss der erwähnten Umfrage sind Sie unter den ersten fünf. Ihre Chancen, als erste SVPlerin in die Solothurner Regierung einzuziehen, sind mehr als intakt. Wir nehmen an, Sie haben das erfreut zur Kenntnis genommen.

Jeker: Die Umfrage bestätigt, dass unsere Wahlstrategie aufgehen könnte. Wir müssen im ersten Wahlgang richtig gut abschneiden, im zweiten Wahlgang könnte es dann je nach Konstellation schwieriger werden. Anspruch auf einen Regierungssitz hat meines Erachtens keine Partei – sonst müsste die SVP ja längst einen haben. Es sind Persönlichkeitswahlen.

Frei werden durch Rücktritte des Schwarzbuben Remo Ankli (FDP) und Brigit Wyss (Grüne) das Bildungs- und Kulturdepartement sowie das Volkswirtschaftsdepartement. Die wieder antretenden Bisherigen zeigten bisher keinerlei Wechselgelüste. Welches Departement wäre Ihnen bei einer Wahl lieber, Herr Urech?

Urech: Die Bildung ist seit den späten 90er‑Jahren in den Händen der Schwarzbuben. Ich würde diese Tradition gerne weiterführen (lacht). Spass beiseite: Ich würde mich in beiden Departementen sehr wohl fühlen. Ich bin sehr kulturaffin und sehe die Bildung als eine der wichtigsten Staatsaufgaben. Auf der anderen Seite sind im Volkswirtschaftsdepartement viele interessante Aufgaben zusammengefasst, darunter auch das Verhältnis zu den Gemeinden.

Jeker: Ich könnte mit beiden Departementen gut leben. Als Mitglied der kantonsrätlichen Umwelt-, Bau- und Wirtschaftskommission beschäftige ich mich intensiv mit Themen wie der Standortförderung oder dem Energiegesetz, das wir nach dem Volksnein am 9. Februar neu ausarbeiten müssen. Als Mutter zweier Kinder, die nun das Gymnasium und eine Berufslehre absolvieren, würde ich mich ebenfalls gerne in Bildungsfragen einbringen.

Wo sehen Sie in den beiden erwähnten Departementen Bildung und Volkswirtschaft aus Schwarzbuben-Sicht den grössten Handlungsbedarf?

Urech: Bei der Bildung ist es zentral, dass wir die Durchlässigkeit mit unseren Nachbarkantonen erhalten und nach Möglichkeit ausbauen können. Ein Beispiel, wo diese heute nicht funktioniert: Die Wirtschaftsmittelschule WMS in Reinach dürfen Schüler aus dem Schwarzbubenland nicht besuchen, respektive es wird nicht bezahlt. Dies mit der Begründung, dass es dieses Angebot im Rest des Kantons gar nicht gibt und somit eine Ungleichbehandlung unter den Schülern entstünde.

Jeker: Wir Schwarzbuben sind in der Bildung privilegiert. Das Angebot ist gerade für Gymnasiasten sehr breit. Sie können ihr Gymnasium in den Nachbarkantonen mehr oder weniger frei wählen, nehmen dafür aber auch teilweise lange Wege auf sich. Meine Tochter macht gerade die bilinguale Maturität in Porrentruy. Ich würde für eine generelle Öffnung nach dem Vorbild des Schwarzbubenlands plädieren: dass Solothurner Schüler in Bereichen, wo wir keine eigene Schule haben, diese in Bern oder im Kanton Aargau besuchen können. Das ist aus Sicht des Kantons eine sehr kostengünstige Variante, um unser Bildungsangebot zu verbessern.

Und in der Wirtschaft?

Jeker: Die Standortförderung funktioniert im Kanton nicht so, wie sie sollte. Ich könnte mir eine Public-private-Partner­ship vorstellen. Wir müssen im Schwarzbubenland eine starke Stimme sein, um im Falle einer solchen Privatisierung angemessen berücksichtigt zu werden.

Urech: Bei der Volkswirtschaft würde ich gerne neue Anknüpfungspunkte zum Wirtschaftsraum Basel suchen und so die Standortförderung im Schwarzbubenland noch verbessern. Wir verfügen über eine hohe Standortgunst, aber teilweise sind die Anstrengungen ungenügend koordiniert. Noch ein Wort zur Kultur: Ich finde, dass der Kanton Solothurn bei der Kulturförderung hintendrein ist. Fast die gesamte Förderung wird mit Mitteln des Lotteriefonds bestritten, der Kanton verfügt darüber hinaus kaum über ein Kulturbudget, auch für renommierte Institutionen wie das Neue Theater in Dornach und das Stadttheater Solothurn nicht. Wir sollten hier verlässlichere Finanzierungen finden.

Das Interview wurde für die Wochenblatt-Ausgabe ­gekürzt. Es ist in voller Länge bei der bz Basel zu lesen: bzbasel.ch

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