«Ich bin parteilos und unabhängig»
Der Historiker Daniele Ganser ist im Gespräch. Seit den SRF-Sendungen «Einstein» über die Terroranschläge vom 11. September und der «Arena» über Donald Trump und die Medien wird fast täglich in den Zeitungen und online kontrovers über ihn berichtet.
Edmondo Savoldelli
Daniele Ganser hat sich seit seinem Studium als Historiker, das er in Basel, Amsterdam und London absolvierte, mit Vorgängen unter der politischen Oberfläche befasst. Geheimarmeen, verdeckte Kriegsführung, Erdölkriege und das Aushebeln des UNO-Gewaltverbots durch die mächtigen Staaten im Sicherheitsrat sind die Themen, die er in seinen bisher erschienenen drei Büchern abhandelt. Gansers Schwerpunkt liegt dabei im Aufdecken der Rolle der USA, dem Imperium, wie er es nennt. Die Bücher sind z. T. in zehn Sprachen übersetzt worden. Sein neustes Buch: «Illegale Kriege» von 2016 liegt aktuell in der 5. Auflage vor.
In Zeitungsartikeln und Vorträgen hat sich Ganser auch zu den Vorgängen um die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York geäussert. Er fordert weitere unabhängige Untersuchungen der ungeklärten Fragen, insbesondere um den Einsturz von WTC 7. Ganser ist nicht nur in den traditionellen Medien präsent, sondern auch ein Youtube-Star. Sein Vortrag über medial vermittelte Feindbilder an der Uni Tübingen hat 800 000 Klicks.
Nach der «Arena»-Sendung des Schweizer Fernsehens vom 25. Februar, in welcher SRF-Moderator Jonas Projer und SRF-Journalist Roger Schawinsky den Historiker Ganser heftig und diffamierend angegriffen haben, ist ein wahrer Sturm entstanden. Die SRF-Ombudstelle hat mehr Beanstandungen erhalten als je zuvor. Daniele Ganser wohnt im Birseck. Das «Wochenblatt» hat sich mit ihm zum Gespräch getroffen.
Wochenblatt: Herr Ganser, Ihr Institut nennt sich SIPER, Swiss Institute for Peace an Energy Research. Was ist Friede? Und wonach forschen Sie?
Daniele Ganser: Friede ist die Abwesenheit von Gewalt und die Basis von allem, was uns hier im Raum Basel wichtig ist. Die Schweiz hat eine über 160-jährige Phase ohne Krieg hinter sich – ein echtes Privileg. Hier bei uns in der Schweiz fallen keine Bomben. Hier liegen keine Landminen. Das alles ist sehr wertvoll. Das SIPER-Institut untersucht internationale bewaffnete Konflikte seit 1945 sowie Fälle, in denen Konflikte ohne Gewalt gelöst wurden. Unsere Forschungsresultate stelle ich in der Form von Vorträgen und Büchern der interessierten Öffentlichkeit vor. Daneben unterrichte ich an der Universität St. Gallen als Dozent im Kurs Geschichte und Zukunft von Energiesystemen und forsche dort zum Thema Erdölkriege.
Geschichtsforschung gehört nicht zu den exakten Wissenschaften. Was ist Ihr wissenschaftlicher Ansatz?
Daniele Ganser: Historiker wie ich untersuchen das Verhalten von Menschen in verschiedenen Epochen und Ländern. Mein Fokus liegt auf der internationalen Zeitgeschichte seit 1945 und dem Imperium USA. Gegenwärtig haben wir 193 Staaten auf der Welt, die Mitglied der UNO sind. Aber die USA sind mit Abstand das mächtigste Land, das Pentagon-Budget beträgt 600 Milliarden Dollar pro Jahr und die USA unterhalten in mehr als 40 fremden Ländern Militärbasen, darunter Guantanamo auf Kuba. Zu meinen Quellen zählen zum Beispiel die Protokolle des UNO-Sicherheitsrates und der UNO-Generalversammlung, deklassifizierte CIA-Dokumente, Memoiren von Generälen und Präsidenten, Berichte in Tageszeitungen oder parlamentarische Untersuchungsberichte.
Ihnen wird vorgeworfen (z. B. BZ-online, 8. März, WoZ.ch, 19. Januar), dass Sie sich auch zweifelhafter Quellen bedienen. Wie prüfen Sie Ihre Quellen und wann sind Quellen zweifelhaft?
Daniele Ganser: Natürlich wird in der internationalen Politik viel gelogen. Daher muss der Historiker, wenn er versucht, einen Tathergang zu rekons-truieren, immer verschiedene Quellen vergleichen und tief graben. Die «WoZ» hat meine Analyse des Ausbruchs des Syrienkrieges kritisiert. Ich habe in meinem neuen Buch «Illegale Kriege» dargelegt, dass die USA den Sturz von Assad schon 2006 planten. Damals, also fünf Jahre vor Kriegsausbruch, reichte William Roebuck, der in der US-Botschaft in Damaskus arbeitete, eine Analyse der Schwachstellen der Regierung Assad ein und listete Methoden auf, mit denen sich die Wahrscheinlichkeit für eine Destabilisierung erhöhen liess. Roebuck empfahl, die religiösen Spannungen anzuheizen, was dann auch geschah. Meine Quelle ist der amerikanische Journalist Seymour Hersh, der sich auf eine Depesche des US-Aussenministeriums stützt, die durch Wikileaks veröffentlicht wurde. Ich stehe weiterhin zu dieser Analyse. Meiner Meinung nach hat die «WoZ» die Sachlage zu wenig durchschaut, Journalisten haben oft weniger Zeit als Historiker, um etwas zu untersuchen.
Sie sind am «Anti Zensur Kongress» des umstrittenen freichristlichen Predigers Ivo Sasek aufgetreten. Warum?
Daniele Ganser: Weil ich eingeladen wurde. Das war vor Jahren. Ich habe bisher mehrere hundert Vorträge gehalten, darunter bei der Postfinance, beim Hauseigentümerverband, an der Universität Basel oder auch mal in einer Gärtnerei. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Menschen miteinander sprechen sollten, unabhängig von politischer Partei, Religion, Geschlecht oder Alter. Daher spreche ich an vielen verschiedenen Orten.
Beim Schweizer Fernsehen wurden Sie jahrelang als Experte beigezogen und in die «Tagesschau», «10 vor 10» und den «Club» eingeladen. Warum wurden Sie kürzlich von «Einstein» und der «Arena» so heftig angegangen?
Daniele Ganser: Ich weiss es nicht. Vermutlich wegen meiner Forschung zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001, kurz 911, und WTC 7. Auf jeden Fall drehte sich die Sendung Einstein um 911, und auch in der Arena war dies der Kern des Streits.
Die Begriffe «Verschwörung» und «Verschwörungstheoretiker» sind zurzeit allgegenwärtig. Was bedeuten diese genau und wie werden sie sachgemäss angewandt?
Daniele Ganser: Eine Verschwörung ist eine geheime Absprache von zwei oder mehr Menschen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Verschwörungen hat es in der Geschichte immer wieder gegeben, vom Cäsar-Mord 44 v. Chr. bis zur Kuba-Krise 1962. Der Begriff «Verschwörungstheoretiker» wurde von der CIA nach dem Mord an Kennedy 1963 in den Diskurs eingeführt, um Zweifler an der Einzeltäterthese zu diskreditieren. Heute wird der Begriff vor allem verwendet, um Forscher zu bekämpfen, die eine neue Untersuchung von 911 fordern. Das habe ich selber erlebt. Als ich im «Tages-Anzeiger» 2006 in einem Artikel den Einsturz von WTC 7 beschrieb und eine neue 911-Untersuchung verlangte, hat mir die amerikanische Botschaft in der Schweiz umgehend vorgeworfen, ich würde mich mit Verschwörungstheorien beschäftigen, das sei nicht erwünscht. Aber die amerikanische Botschaft kann mir nicht vorschreiben, was ich untersuchen darf und was nicht.
Wann nehmen Sie Kritik ernst?
Daniele Ganser: Wenn sie sachlich gut begründet ist.
Sie kritisieren Nachrichtenagenturen und Mainstream-Medien. Was beanstanden Sie und was für Alternativen gibt es?
Daniele Ganser: Der Sportteil und das Wetter ist toll, da habe ich nichts zu kritisieren (lacht). Aber im Bereich internationale Politik kritisiere ich, dass Mainstream-Medien seit Jahrzehnten immer wieder Kriegslügen in die gute Stube tragen. Das schadet dem Frieden sehr. Als Alternative schlage ich Sachbücher vor, da lernt man mehr. Eine weitere Alternative jenseits vom Mainstream sind Fachvorträge auf Youtube, zum Beispiel jene von Professor Rainer Mausfeld, die finde ich sehr gut. Dank dem Internet gibt es heute ein viel grösseres Angebot an Information. Das ist eine Chance. Aber natürlich auch eine Herausforderung.
Sind die Gewalt gegen Medien durch Putin, Trump, Erdogan etc. nicht eben Beweis dafür, dass der unabhängige, kritische Journalismus als vierte Macht durchaus intakt und wirksam ist?
Daniele Ganser: Natürlich gibt es viele mutige und gute Journalisten, keine Frage. Meine Forschung zeigt aber, dass leider sehr viel Kriegspropaganda verbreitet wurde in den Nato-Staaten in den letzen 70 Jahren, und dass auch die Schweiz diese Kriegspropaganda oft blind übernommen hat. Ein konkretes Beispiel ist der Ausbruch des Vietnamkrieges 1964, den US-Präsident Johnson so darlegte, als hätten die Nordvietnamesen begonnen, was aber eine Lüge war, wie wir heute wissen.
Welche politische Ausrichtung haben Sie? Sind Sie Mitglied einer Partei?
Daniele Ganser: Nein, ich bin parteilos und unabhängig. Ich bin der Friedensforschung verpflichtet. Aber die hat keine Partei. Ich habe viel die Grüne Partei gewählt, weil ich für die Vision «100% erneuerbare Energien» bin. Einige Male habe ich auch die Sozialdemokraten gewählt, weil ich mir wünsche, dass der Gegensatz zwischen Arm und Reich reduziert wird. Die Grünliberalen hab ich auch schon gewählt, weil ich dafür bin, dass Mut und Risikobereitschaft eines Unternehmers belohnt und nicht durch zu viele Vorschriften erstickt werden soll. Ich habe also immer links und Mitte-links gewählt.
Aber gerade in der internationalen Politik sieht man, dass die Unterscheidung in links und rechts bei der Frage nach Krieg und Frieden nichts klärt. Sowohl US-Demokraten wie US-Republikaner haben andere Länder bombardiert, die Demokraten sind nicht friedlicher, wie viele glauben. In Europa dasselbe Bild: Der linke deutsche Politiker Joschka Fischer von den Grünen hat Serbien bombardiert, das war illegal. Der linke englische Politiker Tony Blair von den Sozialdemokraten hat Irak bombardiert, das war illegal. Die Nato führt seit 16 Jahren einen illegalen Krieg gegen Afghanistan, und der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist ein norwegischer Sozialdemokrat.
In der Friedensforschung schafft die Unterscheidung in links und rechts keine Orientierung mehr. Vielmehr sollte man sich fragen, ob ein Politiker oder ein Medienprodukt Nato-kritisch oder -freundlich ist, denn die Nato ist die grösste und gefährlichste Militärmacht der Welt.