«Erst durch kontrovers geführte Debatten gibt es kreative Lösungen»
Münchensteins neuer Gemeindepräsident Giorgio Lüthi (CVP) will mit besserer Kommunikation, Ausgabedisziplin und Gestaltungswille die Agglomerationsgemeinde voranbringen.
Vor 30 Jahren liess sich der gebürtige Appenzeller Giorgio Lüthi in Münchenstein nieder, 22 Jahre später wurde der Chemiker für die CVP in den Gemeinderat gewählt, wo er als Finanzpolitiker massgeblich dazu beigetragen hat, die Zeit der leeren Gemeindekasse zu überwinden. Nachdem er zwei Mal mit dem besten Ergebnis wiedergewählt wurde, hat er nun seit dem 1. Juli das Gemeindepräsidium inne. Das «Wochenblatt» hat sich mit dem 62-Jährigen über die Zukunft der Gemeinde unterhalten.
Wochenblatt: Giorgio Lüthi, Sie attestieren Münchenstein ein «gewaltiges Entwicklungspotenzial». Wie soll sich die Gemeinde denn in den nächsten Jahren entwickeln?
Giorgio Lüthi: Der Gemeinderat hat sich Gedanken gemacht über die längerfristige Entwicklung Münchensteins und sich gefragt, wohin wir wollen – auch bezüglich des Wachstums. Da denken wir, ist das Limit bei etwa 2500 zusätzlichen Einwohnern. Die laufende Zonenplanrevision ist diesbezüglich sehr wichtig. Dabei gilt es aber zu beachten, dass man nicht versucht, die Zukunft vorherzusagen, sondern zu gestalten. Ich zitiere da gerne Franz Kafka, der sagte: «Wege entstehen, wenn wir sie gehen». Das heisst für mich auch, dass wir nicht zu viele Studien machen sollten, die dann in der Schublade landen, sondern tatsächlich etwas machen. Wegen des abgelehnten Richtplans läuft das zurzeit schleppend, aber es gibt positive Beispiele.
Nämlich?
Giorgio Lüthi: Zu nennen sind die Quartierpläne Auforum oder Stoll. Und natürlich der Quartierplan Dreispitz, wo 2014 die Hochschule für Gestaltung fertiggestellt sein wird und wo kürzlich die Grundsteinlegung für das Archiv von Herzog und de Meuron erfolgte, in dem auch 34 Wohnungen im gehobenen Segment realisiert werden. In wenigen Jahren wird auch das Zollfreilager zu Wohnraum umgebaut, das entwickelt sich alles sehr positiv.
Die Entwicklung des Dreispitz kommt nun in die entscheidende Phase: Wie will und kann die Gemeinde überhaupt die Entwicklung auf dem Areal mitgestalten?
Giorgio Lüthi: Wir sind mit den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft in der Steuerungsgruppe vertreten. Und ich darf mit Stolz feststellen, dass Münchenstein, was die Umsetzung der Vision von Herzog und de Meuron betrifft, deutlich weiter ist als Basel-Stadt. Wir haben beim Quartierplan Dreispitz auch die volle Unterstützung der Christoph-Merian-Stiftung, der das Land gehört und die nun für die gesamten Infrastrukturkosten aufkommt. Das war anfangs nicht so, weil es auch Usus war, dass dafür jeweils die Gemeinde aufkommt. Ich sagte, das geht doch nicht. Da geht es immerhin um 25 Millionen Franken, und wir sollen uns dann mit ein bisschen Steuereinnahmen begnügen. Da musste ein Umdenken her. Es ist immer wichtig, dass die privaten Investoren auch die Interessen der Gemeinde berücksichtigen.
Es gibt aber auch Probleme: Das «Lange Heid»-Quartier droht zu einem sozialen Brennpunkt zu werden. 2010 wurde eine Arbeitsgruppe zur Attraktivitätssteigerung des Quartiers eingesetzt: Was muss getan werden?
Giorgio Lüthi: Auslöser für diese Arbeitsgruppe war der Moment, als das Lehrpersonal des Schulhauses «Lange Heid» Alarm schlug: Viele Kinder im Quartier seien total unselbstständig und hätten grössere soziale Defizite. Wir mussten die Eltern, vor allem fremdländische, ansprechen und auf Angebote wie Tagesfamilien oder die Spielgruppe hinweisen, damit die Kinder nicht nur vor dem Fernseher sitzen. Das lässt sich kurzfristig umsetzen. Aber es braucht auch raumplanerische Ansätze. Wo hat es Grün- und Spielflächen im Quartier? Es ist klar, wenn wir nichts machen, drohen Zustände, wie sie einst Pratteln in der «Längi» kannte. Wir haben in der Arbeitsgruppe auch Praxisbeispiele von aufgewerteten Quartieren angeschaut. Etwa das «Gundeli» oder eben die «Längi». Der Kanton hat uns auch bereits seine Unterstützung versprochen. Zur Verbesserung der Situation gehört aber auch die Sozialhilfe, wo ein besseres Case-Management angestrebt werden soll, um den Einzelnen besser zu helfen. Ein grosser Teil der zurzeit 260 aktiven Fälle ist in der «Langen Heid» zu Hause.
Die vergangenen Jahre haben Sie die Finanzpolitik der Gemeinde geprägt, jetzt haben Sie die Dossiers Sicherheit, Standortmarketing und Kommunikation übernommen. Wie können Sie als Gemeindepräsident noch fiskalische Impulse setzen?
Giorgio Lüthi: Als Gemeindepräsident sind natürlich alle Dossiers auch meine Aufgabe. Und schliesslich hängt ja auch alles an den Finanzen. Ich bin auch froh, dass ich noch den Finanzplan für die Gemeinde machen konnte, der verschiedene Szenarien aufzeigt. Die Finanzplanung ist in der Gemeinde – und das ist ein allgemeines Phänomen bei kommunalen Verwaltungen – im Vergleich zur Privatwirtschaft relativ unpräzise. In Zukunft braucht es da strengere Vorgaben. Damit lässt sich auch der Cashflow der Gemeinde verbessern. Wir konnten schon in der Vergangenheit alleine durch eine aktivere Bewirtschaftung der Schulden die Zinslast der Gemeinde substanziell senken. Da ist noch viel Potenzial.
Der Finanzplan zeigt auch, dass die Zeiten der grossen Überschüsse vorerst vorbei sind, gleichzeitig überwälzt der Kanton den Gemeinden neue Lasten. Drohen wieder leere Kassen?
Giorgio Lüthi: Wir stellen fest, dass die exogenen Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, sich auf mittlerweile rund 4,2 Millionen Franken belaufen. Allein die Gesundheitskosten steigen nächstes Jahr um 1,4 Millionen Franken. Da muss man sich zunehmend überlegen, wie wir unseren Betrieb finanzieren können. Der Gemeinderat hat sich letzthin in einer Klausursitzung darauf geeinigt, dass der Fokus vorerst nicht mehr auf einer Nullrechnung und Eigenkapitalaufbau liegt, dafür vielmehr wie wir mit dem Aufwandüberschuss klarkommen. Im nächsten Budget werden wir wahrscheinlich einen Fehlbetrag von rund 1,5 Millionen Franken ausweisen. Jetzt denken wir intensiv über die Lösung dieses Problems nach und wir stellen Fragen wie: Haben wir den richtigen Steuersatz? Wie sieht unsere Immobilienstrategie aus? Ist die Verwaltung am richtigen Ort? Kann die Gemeinde durch Zonenaufwertungen vielleicht Geld generieren?
Das verlangt nach einem gut funktionierenden Gemeinderat. Sie bezeichnen sich ja nicht als Parteigänger, hilft das bei der Suche nach Lösungen und wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit im Gremium vor?
Giorgio Lüthi: Zum Leidwesen meiner Partei bin ich nicht immer auf ihrer Linie. Mir geht es stets um die Sache. Ich meine, der neue Gemeinderat funktioniert schon sehr gut. Der Teamgeist ist aber nicht alles. Manchmal ist auch ein Streit unvermeidbar und davor scheue ich mich überhaupt nicht. Ich glaube, erst durch kontrovers geführte Debatten im Gemeinderat gibt es die kreativen Lösungen und guten Kompromisse. Als Gemeindepräsident lege ich Wert auf gutes Konflikt- und Changemanagement im Gemeinderat. Auf organisatorischer Ebene bin ich nun um eine bessere Planbarkeit der Geschäfte bemüht. Die Traktanden werden nun gemeinsam mit dem Geschäftsleiter auf mehrere Sitzungen hinaus geplant. Mit mehr Systematik gibt es auch weniger Überraschungen.