Bilder sagen mehr als Worte
Jean-Pierre Hostettler hat im dritten Lebensabschnitt die Berufung zum Malen entdeckt. Eine Ausstellung in der Stiftung Hofmatt gibt Einblick in sein mannigfaltiges Schaffen.
Den Bildern von Jean-Pierre Hostettler wohnt ein starker Ausdruck inne. Sie lösen beim Betrachtenden, der durch die Ausstellung in den Korridoren der Stiftung Hofmatt schlendert, mannigfaltige Gefühle und Assoziationen aus. Gerade weil die Motive teils nur angedeutet sind, vermag man vieles in ihnen zu sehen. Sie laden ein, eine Weile stehen zu bleiben, sich in Linien, Formen und Farben zu vertiefen.
Unter dem Titel «Malen im letzten Lebensabschnitt» wurde die Ausstellung am Mittwoch vergangener Woche mit einer Vernissage eröffnet und bis im kommenden Frühling werden die Bilder des Künstlers, der seit 2019 im Alters- und Pflegeheim wohnt, öffentlich zu sehen sein. Er präsentiert Porträts, Tierbilder und Karikaturen, geschaffen mit Kohle, Bleistift, Acryl- und Ölfarben. Besonders stechen an der Ausstellung die vielen Porträts hervor. Dabei handelt es sich häufig um Bewohnerinnen und Bewohner wie auch Mitarbeitende der Hofmatt, die für Jean-Pierre Hostettler posierten. Einige zeigen Freunde oder frühere Arbeitskollegen, die der Künstler aus der Erinnerung gemalt hat, und wieder andere sind Selbstporträts, die den Künstler etwa vor dem Spiegel zeigen. Interessant ist es auch, die Variationen zu vergleichen, die Hostettler zu einem Motiv angefertigt hat.
Hohe Produktivität
Der 80‑Jährige fand in der Malerei eine Berufung, nachdem er im Alter von 60 Jahren aufgrund einer Parkinsonerkrankung seine Tätigkeit als Mittelstufenlehrer hatte aufgeben müssen. Seither malt er – wie die blosse Anzahl an Werken an der Ausstellung zeigt – mit hoher Produktivität. So habe er sich, wie er erzählt, über ein verletzendes Kindheitserlebnis hinweggesetzt: Ein Lehrer äusserte sich abschätzig über ein Bild, das der Junge gemalt hatte. «So passierte das, was leider häufig vorkommt: Es hat ihn entmutigt. Er hörte mit dem Malen auf», erzählt die Kunsttherapeutin Maria Elena Rettig, die Hostettler in seinem Schaffen begleitet und auch oft für ihn spricht, hat er doch seit dem Fortschreiten seiner Erkrankung Schwierigkeiten, sich verbal zu äussern. Sie arbeitet seit 2015 in der Stiftung und hat das dortige Malatelier im Rahmen der Aktivierungstherapie aufgebaut. Zuerst malte Hostettler in seinem Zimmer und soll dabei Bilder vor seine Tür gestellt haben, wo sie für andere sichtbar waren.
Mehr als ein Hobby
Im Malatelier hat er nun die Möglichkeit, seine Kreativität zu entfalten, sich weiterzuentwickeln. «Seine Werke zeugen von einem kreativen Prozess, der tiefe Einsichten und unerwartete Schönheit offenbart», sagt Maria Elena Rettig. An manchen Werken arbeitet Jean-Pierre Hostettler Monate, andere entstehen binnen weniger Tage – eine Zeichnung etwa hat der Künstler erst am Tag vor der Vernissage angefertigt. Auch Tiere zeichnet Jean-Pierre Hostettler gerne, wobei durch die expressive Darstellung nicht immer auf den ersten Blick zu sehen ist, um welches Tier es sich handelt, wo es beginnt und wo es endet. Auch zum Zeichnen von Tieren gibt es eine kleine Anekdote: Als Physiklehrer hatte Hostettler seinen Schülerinnen und Schülern bei Prüfungen jeweils einen kleinen Dalmatiner auf den Testbogen gezeichnet – um sie zu ermuntern.
«Für Jean-Pierre Hostettler ist die Malerei eine Quelle der Kraft, die ihm hilft, seine Krankheit zu bewältigen», sagt die Kunsttherapeutin. Gerade weil seine Erkrankung die Genauigkeit beeinträchtigt, entdecke er in den unvorhersehbaren Linien und Formen neue Ausdrucksmöglichkeiten. Die Bilder an der Ausstellung machen deutlich: Für Jean-Pierre Hostettler ist die Malerei mehr als ein Hobby.