Die Leinwand als Spiegel
Das Schaulager zeigt bis zum 1. September die erste umfassende Ausstellung des radikalen britischen Videokünstlers und Filmemachers Steve McQueen.
Thomas Brunnschweiler
Wer die auf zwei Geschosse gestaltete Präsentation betritt, taucht in eine labyrinthartige, abgedunkelte Welt voller optischer und akustischer Reize ein – gleichsam in eine mystische Kinostadt. Hat man den von Helikopterrattern geprägten Flug um die Freiheitsstatue hinter sich, betritt man das Herzstück der Ausstellung, einen grossen Raum, in dem eine dreieckige Installation den Blick auf gleich drei Filmprojektionen ermöglicht.
«Bear», McQueens erstes Werk aus dem Jahre 1993, beeindruckt durch seine Monumentalität und die formalistische Ästhetik der frühen, tonlosen Schwarzweissfilme. Zwei nackte Männer umtänzeln sich in einem halb liebevollen, halb kämpferischen pas de deux. In der verspiegelten Installation «Pursuit», in der es nur leuchtende, bewegliche Lichtpunkte und geheimnisvolle Geräusche gibt, kommt der Orientierungssinn an seine Grenzen. Ein Zitat einer Episode aus einem Buster-Keaton-Film ist der Raum «Deadpan». Der Künstler steht unter einer fallenden Hausfassade und bleibt stoisch in der Aussparung des Dachfensters stehen. In der Wiederholung aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln wirkt dies ebenso witzig wie bedrängend.
Herausforderung für die Sinne
Im Untergeschoss geht der faszinierende Gang durch Steve McQueens «Werkkörper» weiter. «Drumroll» ist eine Dreikanal-Farbvideoprojektion, die den Betrachter auf die Reise eines rollenden Fasses mitnimmt. Das Eichenholz-Kabinett mit 160 Faksimile-Briefmarkenbögen mit den Konterfeis von im Irak-Krieg gefallenen britischen Soldaten regt zu Gedanken über den Sinn oder Unsinn des Krieges und den Wert eines einzelnen Menschenlebens an. In der Kombination von HD-Digitalformat und brillantem Ton ist der Farbfilm «Gravesend» eine Herausforderung für die Sinne.
Im Rahmen der Ausstellung werden auch die beiden Kinofilme des Künstlers gezeigt: «Hunger» und «Shame». Beide Filme wurden stark beachtet. Steve McQueen sagte einmal: «Ich möchte, dass die Leinwand ein gewaltiger Spiegel ist – wenn Du auf die Leinwand blickst, schaust Du auf Dich selber.»
Privileg für Münchenstein
Beim Namen Steve McQueen denkt man normalerweise zuerst an den raubeinigen, blauäugigen Filmschauspieler, der in «Bullitt», «Le Mans» oder «Papillon» die Zuschauer in seinen Bann schlug. Aber der gleichnamige englische Cineast und Videokünstler, der 1969 in London geboren wurde, könnte dem Schauspieler in Sachen Bekanntheit bald den Rang ablaufen. Dass die erste umfassende Werkschau des provokanten Künstlers gerade im Schaulager gezeigt wird und nicht in New York oder London, ist für den Standort Münchenstein ein Auszeichnung. Die Ausstellung ist in ihrer konzeptionellen Umsetzung, der präzisen Technik und der sorgfältigen Dokumentierung ein Highlight für die Kunstszene und die Region. Ein Mehrfachbesuch lohnt sich.
Steve McQueen, Schaulager, Ruchfeldstrasse 19, bis 1. September 2013. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag 14–20 Uhr, Donnerstag 14–22 Uhr, Samstag und Sonntag 12–18 Uhr.