Ein vergessener Arleser Tausendsassa

Am 24. Dezember jährt sich der Todestag von Emil Frey, Partylöwe, Kriegsgefangener und Bundesrat, zum hundertsten Mal. Zeit, den vielleicht prominentesten Arlesheimer vorzustellen.

Lassen Frey wieder aufleben: Anlässlich Freys 100. Todestags haben Gregor Saladin (l.) und Markus Wüest eine Monografie, respektive einen Roman veröffentlicht. Am 25. November kommen die beiden für eine Lesung in die Trotte Arlesheim. Foto: Brook
Lassen Frey wieder aufleben: Anlässlich Freys 100. Todestags haben Gregor Saladin (l.) und Markus Wüest eine Monografie, respektive einen Roman veröffentlicht. Am 25. November kommen die beiden für eine Lesung in die Trotte Arlesheim. Foto: Brooke Keller

«Die sieben Leben des Emil Frey» nennt Gregor Saladin, ehemaliger Journalist und Kommunikationschef des Bundesamts für Verkehr, seine kürzlich erschienene Biografie über den Arlesheimer Bundesrat. Betrachtet man Freys verschiedene Lebensstationen, scheint es in der Tat so, als habe der am 24. Oktober 1838 in der Domstrasse 3 geborene Frey nicht nur ein, sondern viele Leben geführt. In seiner ersten Lebensphase wies allerdings noch wenig darauf hin, dass ihm ein derart spektakulärer Lebenslauf beschieden sein sollte.

Während seiner Schulzeit in Therwil, Waldenburg und Basel gilt Frey als Taugenichts, der häufig für Ärger sorgt. Auch ein von Vater und Baselbieter Regierungsrat Emil Remigius Frey organisierter Gymnasien-Wechsel ins deutsche Ulm bringt nicht die gewünschte Mässigung von Frey junior, sondern endet nur damit, dass dieser nach einigen Wochen Reissaus nimmt und unangekündigt wieder im elterlichen Haus in Arlesheim erscheint. Ohne abgeschlossene Schulbildung entscheidet sich Frey dazu, im deutschen Jena eine Ausbildung zum Agronomen zu absolvieren. Auch dort macht sich der mittlerweile 17-jährige Frey jedoch weniger als fleissiger Student, sondern mehr als Geniesser des lebendigen Studentenlebens einen Namen. «Frey war ein Tunichtgut», meint Biografieautor Saladin auf Freys erste Lebensphase angesprochen und fügt lachend an, dass man Frey heutzutage wohl ADHS diagnostizieren würde.

Kriegsgefangenschaft als Wendepunkt

Mit dem Tod des Leiters des landwirtschaftlichen Instituts endet Freys Zeit in Jena abrupt. Nach wie vor ohne Abschluss entscheidet er sich 1860 dafür, in die USA auszuwandern, um die dortige Landwirtschaft kennen zu lernen. Mehr schlecht als recht hält er sich in der Folge über Wasser, bis ihm der im April 1861 ausbrechende amerikanische Sezessionskrieg einen Ausweg aus seiner Arbeitslosigkeit verspricht. Frey meldet sich als Freiwilliger bei der Nordstaaten-Armee und wird nach kurzer Zeit zum Major befördert. Bei der blutigen Schlacht von Gettysburg gerät er in die Gefangenschaft der Südstaatenarmee und verbringt die folgenden 18 Monate im berüchtigten Libby-Gefängnis. Diese Zeit als Kriegsgefangener sei zweifellos die härteste in Freys Leben gewesen, habe aber auch einen läuternden Einfluss auf seine Persönlichkeit gehabt, sagt Saladin: «Die Gefangenschaft ist der Wendepunkt, nachdem sich Freys wiederkehrende Erfahrung des Scheiterns in einen positiven Aktivismus verwandelt.»

Nach Ende der Kriegszeit kehrt der inzwischen bald 27-jährige Frey 1865 nach Hause zurück, «ohne Ausbildung und Perspektive, sondern nur voller Energie, die er nutzbringend einsetzen will», wie Saladin sagt. Einige Monate später ernennt ihn der Kanton Basel-Landschaft zum Landschreiber und wieder ein halbes Jahr später wird Frey in den Regierungsrat gewählt.

Während Frey in seinem Leben immer wieder das Glück gehabt habe, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, habe er auch ein natürliches Talent für Politik besessen, meint Saladin. «Er muss eine Begabung für den Umgang mit Leuten und den öffentlichen Auftritt gehabt haben.»

Erster Schweizer Botschafter in den USA

1872 erfindet sich Emil Frey einmal mehr neu. Er wird – ohne entsprechende ­Ausbildung – zum Chefredaktor und Mitverleger der «Basler Nachrichten», immerhin der damals zweitgrössten Tageszeitung in Basel. «Für Frey geht durch seine publizistische Tätigkeit ein Knopf auf», sagt Markus Wüest, stellvertretender Chefredaktor der BaZ und Autor des vor einigen Wochen erschienenen Romans «Der Amerikaner im Bundesrat». Sie habe ihm die Möglichkeit gegeben, seine freisinnigen Ansichten mit der Öffentlichkeit zu teilen. Davon profitiert der mittlerweile verheiratete und fünffache Familienvater Frey auch nach seiner ebenfalls 1872 erfolgten Wahl zum Land- und Nationalrat.

Während Frey mit dem Tod seiner erst 28-jährigen Frau privat einen Rückschlag verkraften muss, ist sein politischer Stern weiterhin im Aufstieg begriffen. 1879 und 1881 kandidiert er für den Bundesrat – und scheitert zweimal. Dem enttäuschten Frey wird daraufhin die Stelle als Botschafter der neuen Schweizer Botschaft in Washington angetragen, die er annimmt, obwohl er dahinter einen Versuch seiner politischen Gegner vermutet, ihn unschädlich zu machen. Während seines knapp sechs Jahre dauernden zweiten USA-Aufenthalts ist Frey nie richtig von seinem repräsentativen Amt befriedigt und knüpft nach seiner 1888 erfolgten Rückkehr in die Schweiz da an, wo er aufgehört hatte. Er kandidiert ein drittes Mal für den Bundesrat, wird im Winter 1890 endlich gewählt und übernimmt das Militär­departement.

Während seiner gut sechsjährigen Amtszeit als Bundesrat erlebt er Höhen und Tiefen. «Frey hatte viel Erfolg bei der Modernisierung der Armee, scheiterte aber mit seinen grundlegenden Vorschlägen zur Neuordnung des Militärwesens wiederholt an der Stimmbevölkerung», sagt Saladin. Verbittert nimmt Frey 1897 die Gelegenheit zum ehrenvollen Rücktritt wahr und wird Direktor des Büros der Internationalen Telegrafen-Union. Dieses Amt hat er fast ein Vierteljahrhundert inne. Daneben ist er als politischer Ratgeber, Redner und Publizist tätig, bevor er 1921 in sein Geburtshaus nach Arlesheim zurückkehrt. An Heiligabend vor 100 Jahren endet dort das letzte der sieben Leben des Emil Frey. Eine schlichte Gedenktafel an der Gartenmauer erinnert an die vergessene Prominenz.

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