Stärke im Zwei-Welten-Dasein
Von April bis Juni findet das Projekt «Coda spielen Theater» statt. Dabei geht es darum, das Selbstbewusstsein von Kindern von gehörlosen Eltern zu steigern.
Children of deaf adults (Coda: Kinder von tauben Eltern) leben in zwei Welten: Zu Hause kommunizieren sie mittels der Gebärdensprache, «draussen» gelten andere, teils fremde Spielregeln. «Zu Hause schaut man sich an und berührt sich, wenn man miteinander spricht», sagt Barbara Bürki, Dolmetscherin für Gebärdensprache und Initiantin des Projekts. «Wenn die Kinder dann etwa in den Kindergarten kommen, merken sie schnell, dass dieses Verhalten nicht mehr gewünscht ist, vielleicht sogar verpönt wird.»
Das schaffe bei den Kindern Unsicherheit verbunden mit der Frage, was erlaubt ist und was nicht. «Die Erfahrung ist ja auch eher, dass die Kinder das Verhalten der anderen als Norm erleben und sich dann selbst hinterfragen», erklärt Theaterpädagoge Melvin Hasler. Wenn das Verhalten der Coda nicht explizit als Stärke und Ressource gefördert werde, könne das Selbstbewusstsein leiden, da ja der Wunsch bestehe, sich der Norm anzupassen. «Wenn in einer Klasse eine Lehrperson einen Auftrag an alle gibt, reagieren Coda oft gar nicht, denn sie sind es gewohnt, direkt angeschaut und angesprochen zu werden», erklärt Bürki. Aus solchen Situationen könne schnell der Eindruck entstehen: Die wollen ja gar nicht!
Herausforderungen und Möglichkeiten
Um Coda eine Möglichkeit zu geben, an und mit ihrem Selbstbewusstsein zu arbeiten und ihre Fähigkeiten als Stärken zu entdecken, haben Barbara Bürki und Melvin Hasler das Projekt «Coda spielen Theater» ins Leben gerufen. Es richtet sich an acht bis 14-jährige Kinder und soll ihnen Mut machen, die Zwei-Welten-Situation gewinnbringend zu nutzen.
Bürki, selbst Mutter einer gehörlosen Tochter und Oma eines hörenden Enkels, meint: «Einerseits habe ich schon selbst ein paar Kurse bei Melvin Hasler zum Thema Ausdruck besucht, andererseits kenne ich die Situation der Coda durch Berufs- und Privatleben sehr gut.» Die Idee, etwas für die Coda zu machen, habe sie schon länger gehabt, und das Angebot von Melvin Hasler passe optimal. «So kann ich von Seiten der Herausforderung dazu beitragen und Melvin von der Seite der Möglichkeiten aus», schmunzelt die Dolmetscherin. «Für mich ist es sehr ansprechend, überhaupt zu erfahren, wie die Kommunikation von und bei Kindern von gehörlosen Eltern anders ist. Das ist mir vorher noch nicht so bewusst gewesen», so Hasler. «Schön, wenn wir da die Sichtbarkeit verstärken können und dazu beitragen, dass mehr Menschen Verständnis für diese Situation entwickeln.»
Gefühle und Bedürfnisse
An acht halben Tagen wollen Bürki und Hasler Coda und ihren Angehörigen mit dem Improvisationstheater einen sicheren Ort bieten. Es geht ihnen darum, Inklusion zu fördern, ohne die Beteiligten zu überfordern. Hasler: «Wir werden die eigenen Gefühle und Bedürfnisse anschauen, wahrnehmen und üben sie auszudrücken. Dafür werden wir mit Kommunikationsmöglichkeiten spielen und experimentieren.» Fragen dabei können sein: Kommt die Information beim anderen so an, wie ich das möchte? Welchen Einfluss haben Stimmlage und Körperhaltung? «Methodisch wird das Improvisationstheater als Basis verwendet. Je nach Ausrichtung und Interesse der Gruppe können die Aktivitäten und Übungen sprachlicher, tänzerischer und musikalischer Natur sein», schildert Hasler das Konzept.
«Wenn alles klappt, findet zum Abschluss auch eine Präsentation im Reinacher Gewölbekeller statt, allerdings ist diese nur für die Eltern und Angehörigen gedacht», sagt Bürki. Jedes Kind kann jedoch ein Gspänli (mit hörenden Eltern) zum Workshop mitbringen, um zusammen in die Coda-Welt einzutauchen. Unter der Telefonnummer 079 719 46 44 oder babuerki@bluewin.ch und wemakeit.com/projects/coda-spielen-theater gibt es weitere Informationen.