Lu Bonauer beherrscht die Sprache der Weltliteratur

Lu Bonauer aus Aesch hat seine erste Novelle vorgelegt. Die Vorschusslorbeeren von Pro Helvetia, die ihn mit dem Werkpreis 2019 auszeichnete, sitzen auf dem richtigen Haupt.

Überzeugt durchs Band: Die Lektüre von Lu Bonauers Novelle «Die Liebenden bei den Dünen» lohnt sich.  Foto: Thomas Brunnschweiler
Überzeugt durchs Band: Die Lektüre von Lu Bonauers Novelle «Die Liebenden bei den Dünen» lohnt sich. Foto: Thomas Brunnschweiler

Vor kurzem hat der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa in einem Interview gesagt, in der Schweiz könne keine grosse Literatur entstehen, da das Land zu reich und fortgeschritten sei und keine politischen und sozialen Konflikte habe. Diese rein ökonomisch orientierte Literaturbetrachtung ist nicht nur selbstgefällig, sondern stimmt schlicht nicht. Denn sonst dürfte es Lu Bonauers Novelle «Die Liebenden bei den Dünen» gar nicht geben. Bonauers Liebesgeschichte hält einem Vergleich mit Gottfried Kellers «Romeo und Julia auf dem Lande» oder Tschingis Aitmatows «Djamilia» durchaus stand. In Bonauers Novelle sind die Einheit von Inhalt und Form, Intensität und Rhythmus der Sprache und deren hypnotische Wirkung sogar noch ausgeprägter als bei den genannten Autoren der Weltliteratur.


Was ist die ewige Liebe?
Romy und Silas – ein gemeinsam alt gewordenes Ehepaar, dessen Liebe nicht erloschen ist – wollen gemeinsam sterben. Schon früh haben sie sich dieses Versprechen gegeben. Romy hat Alzheimer. Sie schlucken beide das tödliche Präparat, das «Sterbeli», wie Romy es nennt. Plötzlich erwacht Silas, neben ihm die tote Romy. Warum hat er überlebt? Hat er einen Verrat begangen? Auf sich zurückgeworfen sucht er nach einer Antwort. Er taumelt von der Gegenwart in die Vergangenheit der Erinnerung, der er nicht mehr traut. Sein Bewusstsein reist durch eine Traumzeit. Er verliert den Boden unter den Füssen. Ist nicht «das Überleben die raffinierteste Form der modernen Folter»? Ist er ein Mörder? Silas schwankt zwischen dem Schmerz, Romy im Stich gelassen zu haben, und dem Schuldgefühl aller Überlebenden. Doch dann entdeckt er etwas, was schlagartig alles anders erscheinen lässt. Die Novelle treibt auf einen offenen Ausgang zu, denn der letzte Satz bricht einfach ab. Im Fachjargon ist dies eine Aposiopese, ein Verstummen. Auch ein anderer Meister der Novelle, Heinrich von Kleist, hat diese Form oft gebraucht. Bonauer greift womöglich auf den Satz des Sprachphilosophen Wittgenstein zurück: «Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.»


Beispielhafte Novelle
In «Die Liebenden bei den Dünen» finden sich alle Merkmale der klassischen Novelle. Es ereignet sich eine unerhörte Begebenheit, es herrscht ein raffender Handlungsbericht; kein Wort zu viel. Es gibt einen klaren Wendepunkt.

Neben dem Leitmotiv der ewigen Liebe kommen mehrere Dingsymbole vor: die beiden Medizinalfläschchen, das Buch von «Romeo und Julia», das hölzerne Herz und die Dünen. Bonauers Novelle ist eine existenzielle Liebesgeschichte, unsentimental, berührend, schwebend, flirrend und mit hypnotischem Sog erzählt; ein Stück allgemeingültiger Literatur. Mario Vargas Llosa sollte diese Novelle lesen!

Lu Bonauer: Die Liebenden bei den Dünen. Novelle, Kommode Verlag, Zürich 2020, 120 S., Fr. 22.90.

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