«Leben entfaltet sich nicht nur im Essen, Trinken und Schlafen»
Der Familie in der Heimat eine E-Mail schreiben, ein Bilderbuch anschauen, mal Lotto spielen: Die Kirchen bereichern den Tages- ablauf der in Aesch lebenden Flüchtlinge.
Thomas Kramer
Montagnachmittag, 15 Uhr, im Pfarrhof St. Josef. Eine 15-köpfige Gruppe von Flüchtlingen – Männer, Frauen, Kinder – sind vor einer Stunde aus der fensterlosen Zivilschutzanlage in den lichtdurchfluteten Gemeinschaftsraum am Brüelweg gekommen. Vor sich eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wasser, sitzen sie schon seit einer Weile hier um vier grosse, zusammengerückte Tische und gucken konzentriert auf ihr Lottoblatt. Ursula Wanner amtet als Spielleiterin und zieht die Zahlen. Alle hören ihr aufmerksam zu, wenn sie die nächste Ziffer in deutscher und englischer Sprache ausruft, die Gruppe wiederholt das Gesagte laut auf deutsch, während sie dabei ihr Blatt kontrollieren. Daneben haben es sich kleine Mädchen auf dem Boden gemütlich gemacht, sie zeichnen mit Buntstiften in einem Ausmalheft oder schauen sich ein Bilderbuch an.
Diren* aus dem Iran sitzt mit seinem Sohn vor je einem Laptop, die an einer Seitenwand installiert sind und aus dem Pfarrhof ein kleines Internetcafé machen. Der Bub vertreibt sich die Zeit, indem er sich auf Youtube durch verschiedene Animationsfilme klickt, während sein Vater sich eine Reportage über Luxuskarrossen anschaut. Es ist augenfällig, dass diese Menschen Interessen haben, die sich von den unseren gar nicht so unterscheiden. Neben den Laptops ist der kostenlose WLAN-Zugang gefragt. Hier können E-Mails oder SMS-Nachrichten über das eigene Handy gesendet und empfangen werden. Der Kontakt zu Familienmitgliedern und Freunden ist ein elementares Bedürfnis, das hier befriedigt werden kann.
Ereignisarme Tage
Die aus ihrer Heimat geflüchteten Menschen – in Aesch kommen sie vor allem aus Afghanistan, dem Iran und aus dem Irak – erleben hier eine willkommene Abwechslung zum sonst monotonen Tagesablauf, der arm an Aktivitäten ist. Anil* aus Afghanistan ist seit Anfang Februar in Aesch. Er äussert sich kritisch über den streng geregelten Alltag in der Zivilschutzanlage. Das Warten auf den Asylentscheid, die langen Tage schlagen auf sein Gemüt.
Genau hier setzt das kirchliche Engagement ein. «Menschliches Leben entfaltet sich nicht nur im Essen, Trinken und Schlafen», sagt Felix Terrier, Priester und Gemeindeleiter der Römisch-katholischen Pfarrei St. Josef in Aesch. Zusammen mit der Pfarrei St. Martin in Pfeffingen und der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Aesch-Pfeffingen wurde für die Flüchtlinge mit dem Projekt «Begegnung» ein Angebot lanciert, das sich jenseits von dem, was das Gesetz vorschreibt, bewegt und den Flüchtlingen erlaubt, auf unkomplizierte Art unsere Kultur etwas näher kennen zu lernen und das die Tagesstruktur etwas auflockert. Das Projekt bietet aber auch den Einheimischen die Gelegenheit, die Unsicherheiten und Ängste – die übrigens beidseitig da sind – abzubauen. «Wir begegnen der Angst über die Begegnung und können diese so überwinden», sagt Felix Terrier.
Neu auch Sport im Löhrenacker
Insgesamt engagieren sich 20 Personen in dieser ökumenischen Gruppe. Das Internetcafé findet am Donnerstagnachmittag auch im Steinackerhaus der Reformierten Kirchgemeinde statt. Und seit dieser Woche ist ein zweites Angebot hinzugekommen: Am Dienstagnachmittag können sich die Flüchtlinge in der Mehrzweckhalle Löhrenacker unter Anleitung und Betreuung sportlich bestätigen – es ist nach dem Projekt «Begegnung» das zweite, «Bewegung».
Unterdessen ist es 16 Uhr geworden. Lya* hat die letzte Lottorunde für sich entschieden – und gewinnt eine Flasche Duschgel. Auf dem Rückweg vom Pfarrhof zur Zivilschutzanlage wird die junge Frau von der Securitas kontrolliert, diese ruft bei der Pfarrei an, ob sie das Gel tatsächlich beim Spiel gewonnen hat. Das Pfarreisekretariat bestätigt es – es hat alles seine Richtigkeit.
* Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.