Globale Krisen, lokale Antworten
Mamphela Ramphele, Co-Präsidentin des Club of Rome, sprach bei einem privaten Treffen in Pfeffingen über globale Herausforderungen und die Rolle der Region Basel.
1972, genau vor 50 Jahren und mitten im goldenen Zeitalter des Kapitalismus, rüttelte ein epochaler Bericht die Welt auf. Wissenschaftler um Donella und Dennis Meadows erstellten erstmals globale Zukunftssimulationen – und diese zeichneten ein düsteres Bild. «Die Grenzen des Wachstums» prophezeite Umweltverschmutzung, Bevölkerungsexplosion, Rohstoffmangel und den Niedergang der Weltwirtschaft. Die etwa 200 Seiten lange wissenschaftliche Arbeit in Auftrag gegeben hatte der Club of Rome, ein Zusammenschluss von hochrangigen Personen, die sich um die Zukunft des Planeten sorgten. «Die Grenzen des Wachstums» liess allerdings auch Hoffnungsschimmer durchblitzen. Unlimitiertes Wachstum müsse gestoppt, das ökologische und wirtschaftliche Gleichgewicht wiederhergestellt werden, dann bestehe noch Hoffnung. Dazu zeigte der Club of Rome zwölf Szenarien auf. Der Bericht war ein Bestseller. Bis heute wurden rund 30 Millionen Exemplare in 30 Sprachen verkauft.
Inzwischen sind fünf Jahrzehnte vergangen, doch die Probleme sind aktueller denn je. Um den Club of Rome aber ist es ruhig geworden. Ein Umstand, der sich ändern soll, wie Carlos Alvarez Pereira, Mitglied im Exekutivkomitee des Clubs, zum Wochenblatt sagt. Der Wissenschaftler war am vergangenen Sonntag im Rahmen einer Reise durch die Schweiz zu Gast in Pfeffingen. Und er brachte mit der Co-Präsidentin einen schillernden Gast mit. Seit 2018 leitet Mamphela Ramphele den Club of Rome zusammen mit der Belgierin Sandrine Dixson-Declève. Sie sind die ersten Frauen in diesem Amt – Ramphele die erste Afrikanerin.
Mamphela Rampheles Auftreten ist sicher, ihre Augen sind wach. Jedes Wort wählt sie mit Bedacht, jedes Thema analysiert sie differenziert. Die 75-jährige Ärztin schaut auf ein bewegtes Leben zurück. In jungen Jahren kämpfte sie zusammen mit Steve Biko, dem Begründer des Black Consciousness Movement, gegen die Apartheid in Südafrika und wurde deshalb verbannt. Trotzdem blieb sie politisch aktiv, schloss das Medizinstudium ab, erlangte die Doktorenwürde in Social Anthropology und wirkte schliesslich als eine von vier Managing Directors der Weltbank.
Von der Stadt aufs Land
Warum führt der Weg dieser aussergewöhnlichen Frau ausgerechnet nach Pfeffingen? «Weil das Wetter hier so schön ist», sagt Ramphele und lacht. Der Humor ist ihr nicht verloren gegangen, obwohl sich die Ärztin seit Jahrzehnten mit globalen Problemen wie Armut, Rassismus, Wirtschaftskrisen und Klimawandel beschäftigt. Müdigkeit oder gar Verdrossenheit ist ihr nicht anzusehen. «Ich glaube fest daran, dass das Leben besser wird. Und dass die Menschheit lernen kann.»
Daniel Winzenried und Cintia Jamie hatten Carlos Alvarez Pereira und Mamphela Ramphele zu sich nach Pfeffingen eingeladen, um ihnen ihr Projekt vorzustellen. Das Ehepaar gründete 2016 die Stiftung Es Vicis. Mit ihr soll das Leid in den Elendsvierteln rund um grosse Städte gemindert werden, der Fokus liegt aktuell auf Argentinien. Menschen aus der Stadt sollen wieder in rurale Gegenden ziehen und sich dort eine Existenz aufbauen. Das ist – kurz gesagt – das Ziel der Stiftung. 92 Prozent der Menschen in Argentinien leben in und um Buenos Aires. Die Dörfer hingegen kämpfen um jeden Einwohner. «Viele Menschen ziehen aus Not in die Stadt, weil sie denken, dass sie dort mehr Chancen haben. In der argentinischen Landwirtschaft beispielsweise wurden in den letzten Jahren viele Jobs durch Maschinen ersetzt. Doch die Zustände in den Städten sind teilweise katastrophal», sagt Winzenried.
Deshalb hat die Stiftung für ihr erstes Pilotprojekt Familien gesucht, die zurück aufs Land ziehen möchten. Dabei hat sie unter anderem nach Berufen sortiert, die es in den jeweiligen Dörfern braucht. Innert kurzer Zeit meldeten sich Tausende Menschen, das Interesse war riesig. Die Stiftung begleitete diese Familien zur Selbstständigkeit, Coaches halfen den Menschen mit der Erstellung von Businessplänen; die ersten Erfolgsgeschichten wurden geschrieben. Dörfer sollen so nachhaltig entwickelt, Städte entlastet werden. Winzenried und Jamie haben selbst einen namhaften Betrag in Es Vicis investiert. Noch fehlt der Stiftung allerdings das Geld, um grössere Projekte umzusetzen. Mamphela Ramphele findet das Projekt der Pfeffinger spannend, es liesse sich auch gut für den afrikanischen Kontinent anwenden. «Es ist eine falsche Idee, dass das Leben in den grossen Städten der Welt geschehen soll. Wir müssen uns wieder vermehrt miteinander vernetzen und Beziehungen pflegen.» Und sie ergänzt: «Wir müssen unsere Lebensweise hinterfragen. Die menschliche Entwicklung bedeutet aktuell immer mehr Konsum. Doch das kann auf Dauer nicht funktionieren.»
Zeichen des Fortschrittes?
Die Schweiz sei für den Club of Rome ein Zentrum, Basel eine der wichtigsten Städte weltweit, sagt Ramphele. Doch kurz hält sie inne und lässt den Blick Richtung Rheinstadt schweifen. Roche und Novartis liefern sich hier seit Jahren einen Wettkampf: Wer baut mehr, schneller, höher? Ramphele ist davon wenig beeindruckt und fragt rhetorisch: «Graue Glasgebäude? Ist das ein Zeichen der Entwicklung?»
Der Club of Rome habe sich in den vergangenen zwei Jahren ausgiebig mit der Schweiz auseinandergesetzt. Das Land sei aufgrund seiner Neutralität, der internationalen Organisationen, einer grosse Anzahl von NGO und der humanitären Tradition ein idealer Standort, meint Alvarez Pereira. Der Club of Rome hat seinen Sitz auch deshalb seit 2008 in Winterthur.
Trotz der gelösten Stimmung ist nach dem Gespräch auf der Terrasse des Neubaus in Pfeffingen klar: Es gibt viel zu tun und wenig Zeit, wenn die Menschheit das Ruder herumreissen möchte. Der Club of Rome will künftig wieder lauter sein. Er hat im Mai einen neuen Bericht herausgegeben: «Limits and Beyond». Er stellt die Frage: Was haben wir in den vergangenen 50 Jahren gelernt? Die Antworten dürften ernüchternd sein.