«Es geht nicht darum, die Kinder in eine Schablone zu pressen»

Seit fünf Jahren werden am Autismuszentrum in Aesch Kinder im ­Vorschulalter gefördert. Trotz Erfolgen kämpfen die Fachpersonen gegen Vorurteile.

Begleitet und gefördert: Kinder mit Autismus lernen in der Frühintervention, dass Kommunikation mit anderen etwas Wertvolles sein kann. Foto: ZVG
Begleitet und gefördert: Kinder mit Autismus lernen in der Frühintervention, dass Kommunikation mit anderen etwas Wertvolles sein kann. Foto: ZVG

«Was willst du mir sagen?» Tafeln mit diesem Titel werden derzeit vom Werkhof auf Aescher Spielplätzen angebracht. Darauf zu sehen sind Symbole, die für Aussagen oder Fragen wie «Ich will rutschen», «Ich habe Hunger», «Entschuldigung» oder «Wollen wir spielen?» stehen. Die Piktogramme sollen Kindern mit ­einer «Autismus-Spektrum-Störung» helfen, sich auf dem Spielplatz mit Gleichalterigen auszutauschen, denn Betroffene nehmen die Umwelt mit allen Sinnen anders wahr als ihre Mitmenschen.

Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung, deren genaue Ursache nicht eindeutig ist. Nach Angaben von «Autismus Schweiz» kommen hierzulande pro Jahr zwischen 550 und 800 betroffene Kinder zur Welt. Hinter den Tafeln auf den Spielplätzen steht das Autismuszentrum, das seit 2017 an der Therwilerstrasse in Aesch beheimatet ist und schweizweit zu den fünf Gründungszentren für Frühintervention bei Autismus gehört.

2018 hatte der Bundesrat einen Bericht verabschiedet, nachdem jedem Kind mit einer diagnostizierten Autismus-Spek­trum-Störung eine Frühintervention offenstehen muss.

Kinder meist ohne Sprache

Aktuell besuchen zehn Kinder, die eine Diagnose für Autismus erhalten haben, die Frühintervention in Aesch. Dabei ­werden sie von einem Team aus Fachpersonen der Heilpädagogik, Logopädie und Ergotherapie während mindestens 15 Stunden pro Woche begleitet. Zwar gäbe es auch andere Kinder, die sich der Aussenwelt verschliessen, was etwa bei grober Vernachlässigung durch die Eltern der Fall sein kann. Bei autistischen Kindern aber ist eher das Gegenteil der Fall: Eltern sorgen sich, weil sich ihr Kind der Aussenwelt und damit auch ihnen zunehmend verschliesst: «Die Kinder, die zu uns kommen, haben keine Sprache und auch kein Konzept für eine andere Art der Interaktion. Es fehlt ihnen also die Möglichkeit, die fehlende Sprache nonverbal zu kompensieren», sagt die Leiterin des Autismuszentrums, Bettina Tillmann. Die Kinder empfinden – etwa dann, wenn sie ein Geschenk bekommen – durchaus Emotionen, können diese aber nicht mitteilen. «Die Reaktion entspricht nicht der Norm, was zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen führt.»

Im Autismuszentrum sollen die Kinder auf spielerische Weise lernen, ihre Bedürfnisse und Anliegen verständlicher zu äussern, wobei es nicht darum gehe, das «Kind in eine Schablone zu pressen», wie Tillmann immer wieder in sozialen Netzwerken liest. Man wolle die Kinder nicht normieren: «Es geht schlicht darum, den betroffenen Familien Unterstützung im Alltag zu bieten.» Oft bleiben diesen Kindern «soziale Situationen verschlossen». Aus diesem Grund wurden Sozialkompetenztrainings entwickelt, die den Kindern das Üben von sozialen Kompetenzen in einem geschützten Rahmen ermöglichen.

Lernen von Betroffenen

Da autistische Kinder über die Augen empfänglicher sind als über die Ohren, ist im Autismuszentrum alles mit Piktogrammen illustriert. Auch der Tages­ablauf liegt den Kindern in Form von Bildern oder Objekten vor. Anfangs versuchen die Therapeutinnen und Therapeuten auf spielerische Weise mit dem Kind in eine Interaktion zu kommen, damit diese als etwas Positives erlebt werden kann. Später geht es darum, in Gruppen konkrete Situationen wie etwa das Kennenlernen einzuüben. «In dieser Hinsicht ist die Therapie nicht nur ein messbarer Erfolg, sondern vor allem auch, weil sie die Familie stärkt und damit die Lebensqualität von Kind und Eltern steigert.»

Wie sich das Kind später weiterentwickele, stehe auf einem anderen Blatt, denn Autismus ist per se nicht heilbar. Mit ihrer Arbeit möchte das Team des Autismuszentrums einerseits den betroffenen Kindern und Familien helfen, andererseits aber auch das Verständnis für das Thema in der Gesellschaft wecken. «Der Umgang mit autistischen Menschen fordert für Nichtbetroffene einen Perspektivenwechsel. Daraus kann die Gesellschaft viel lernen.»

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