«Eltern sind keine Hilfslehrer»

Konfliktpotenzial im Wohnzimmer: Carol Rietsch, Schulleiter der Sekundarschule Aesch, berichtet aus dem neuen Schulalltag.

Die «Mitspieler» sind zu Hause: Schulleiter Carol Rietsch erzählt, wie der Fernunterricht abläuft und welche Chancen und Schwierigkeiten sich ergeben.  Foto: Caspar Reimer
Die «Mitspieler» sind zu Hause: Schulleiter Carol Rietsch erzählt, wie der Fernunterricht abläuft und welche Chancen und Schwierigkeiten sich ergeben. Foto: Caspar Reimer

Wochenblatt: Wie meistert die Sekundarschule Aesch die Corona-Krise?
Carol Rietsch: Für die Schulleitung der Sekundarschule Aesch hatte das Krisenmanagement im Februar begonnen mit dem Entscheid, das für acht Klassen im Engadin geplante Skilager abzusagen. Die Schulleitung hatte sich abgesprochen mit dem Schulrat, so wie man auch jetzt die Situation laufend mit dem Schulrat bespricht und sich gegenseitig unterstützt. Auf gewissen Kosten für die Reservierungen in Scuol ist man sitzengeblieben.


Wie geht die Sekundarschule Aesch mit der neusten Situation um?
Carol Rietsch: Die Schule ist seit Sommer ausgestattet mit allen Hilfsmitteln, die es für die digitale Welt braucht. Somit war für uns die Umstellung auf die Schule zu Hause relativ gut umsetzbar. Die Schüler, denen die Hardware zu Hause fehlte, erhielten ein Gerät von der Schule. Über das auf die Schule zugeschnittene Programm Office 365 können die Schüler als auch die Lehrer auf die Aufgaben und Arbeiten zugreifen. Die Software sieht auch alle Kommunikationsformen vor, vom Telefonieren über Videokonferenz, Chatten bis E-Mail. Grössere technische Pannen blieben aus.


Wie läuft der Fernunterricht ab?
Carol Rietsch: Die Schüler erhalten auf dem elektronischen Weg Aufgaben zugestellt, die sie von zu Hause aus erledigen. Manchmal sind sie auch aufgefordert, Unterlagen in der Schule abzuholen oder abzugeben. Die Schüler laden ihre erledigten Arbeiten in das Office 365 und erhalten von den Lehrkräften Feedback. Bei Fragen können sie sich tagsüber an die Lehrpersonen wenden. Diese müssen sich natürlich auch abgrenzen können, denn manche Schüler wenden sich um Mitternacht mit einer Whatsapp-Nachricht an die Lehrperson.


Klappt diese Form des Unterrichts?
Carol Rietsch: Erstaunlicherweise besser als gedacht. Die Schüler machen ihre Aufgabe wirklich gut und sollen dafür auch Lob erhalten. An der Sek Aesch waren sich die Schulleitung und die Lehrerschaft von Anfang an bewusst, dass die aktuelle Situation die Menschen vor neue Herausforderungen stellt. Der Umfang und die Aufgaben pro Tag sollten gut überlegt sein, im Moment beträgt die Aufgabenzeit vier Stunden pro Tag, je eine Stunde pro Fach. Nebst Mathe, Deutsch und einer Fremdsprache wird bei den anderen Fächern abgewechselt. Die Aufgaben werden von zu Hause aus erledigt, man kommt selten ins Schulhaus.


Gibt es auch Aufgaben für Turnen und Hauswirtschaft?
Carol Rietsch: Ja, gerade in diesen Fächern wussten die Lehrkräfte das Beste aus der Situation zu machen. So konnte in der Hauswirtschaft ein sozialer Aspekt mitberücksichtigt werden, die Aufgabe lautete, die Schüler sollen für ihre Familie Essen zubereiten. Dabei konnten die Schüler ihre eigenen Menüvorschläge einbringen. Mit den neusten Technologien kann man die Bewältigung dieser Aufgabe sehr gut dokumentieren mit Video, Bildern und natürlich auch mit einem Bericht. Manche Klassenlehrer führen mit den Schülern eine gemeinsame Videokonferenz durch. Da gibt es sehr viele gute Beispiele von Schülern, die morgens aufstehen, sich anziehen und ihr Aufgaben erledigen. Es gibt auch einige wenige, die sich vom Bett aus zuschalten – dann halt mit Ton, aber ohne Bild


Die neue Schulsituation kann auch schwierig sein: Stichwort gelangweilte Kinder, genervte Eltern ...
Carol Rietsch: Wenn in einer Wohnung die Eltern beschäftigt sind mit Homeoffice und die Kinder Aufmerksamkeit suchen für ihre Aufgaben, die sie im Normalfall eben nicht zu Hause, sondern in der Schule erledigen, dann kann es durchaus schwierig werden. Nebst den Lehrpersonen ist auch der Schulsozialdienst tagsüber immer erreichbar. Diesbezüglich verhält es sich eigentlich nicht anders als im Normalfall: Der Umgang miteinander und die Problemlösungen hängen von den Charakteren der Personen ab. Grundsätzlich gilt, dass sich die Schüler bei der Bewältigung der Aufgaben an die Lehrerschaft wenden. Es ist allen bewusst, dass Eltern keine Hilfslehrer sein sollen. Doch auch diesbezüglich gibt es einfach unterschiedliche Lebensweisen, es gibt überfürsorgliche Eltern und es gibt Eltern, die auf «laisser faire» setzen.


Wie fällt ihre bisherige Bilanz aus?
Carol Rietsch: Wir gehen pragmatisch mit dem Ausnahmezustand um und beurteilen zusammen mit dem Schulrat, wie sich die vom Bund geforderten Massnahmen jeweils am besten umsetzen lassen. Anfang nächste Woche werten wir die Erfahrungen von Schülern und Eltern aus und nehmen Anpassungen vor in der rollenden Planung. Das bisherige Feedback von Eltern und Schülern zeigt jedenfalls, dass das Bewusstsein für die Wertschätzung der Schule gestiegen ist. Sowohl einige Schüler als auch Eltern sagten uns, dass sie die Schule vermissen. Die Lehrerschaft ging mit gutem Beispiel voran und zeigt sehr grosses Engagement. So steht sie auch den Eltern zur Seite, wenn es darum geht, die Schüler an ihre Pflichten zu erinnern, und hilft mit Gesprächen zur Bewältigung von Problemen. Denn es ist uns allen bewusst, dass die neue Situation Konfliktpotenzial birgt, vor allem wenn sie über mehrere Wochen anhalten wird.

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