«Die Schweiz muss ihre Verantwortung wahrnehmen»

Marianne Hollinger, alt Gemeindepräsidentin von Aesch, fordert die Schweiz auf, in der Flüchtlings- politik die Zügel in die Hand zu nehmen.

Im Einsatz: Mit drei Flüchtlingsfrauen nähte Marianne Hollinger auf Samos Corona-Schutzmasken.  Foto: ZVG
Im Einsatz: Mit drei Flüchtlingsfrauen nähte Marianne Hollinger auf Samos Corona-Schutzmasken. Foto: ZVG

Marianne Hollinger geht es um die Sache und nicht um persönliche Eitelkeit. Das betont die alt Gemeindepräsidentin von Aesch im Gespräch mit dem Wochenblatt immer wieder. Und tatsächlich: Spricht die ehemalige FDP-Politikerin über Flüchtlinge, ist echte Identifikation mit dem Thema und den Menschen dahinter spürbar, der politische Elan sprudelt quasi aus ihr heraus: «Die Schweiz muss eine aktive Rolle in der europäischen Flüchtlingspolitik übernehmen», sagt sie deutlich. Nach ihrem Abschied aus der Gemeindepolitik war Hollinger im September als Helferin auf der griechischen Insel Samos nahe der türkischen Grenze in einem Safe Space für geflüchtete Frauen tätig. Das von einer Zürcher NGO betriebene Angebot liegt gleich neben dem grossen Sammellager für Flüchtlinge, das man in Samos schon als Schande oder Dschungel bezeichnet hatte. Dschungel deshalb, weil es keine ausreichende Infrastruktur gibt und europäische Menschenrechte dort täglich gebrochen würden. Für 650 Menschen ist das Lager konzipiert. Maximal drei Monate sollen sie auf ihre Befragung in Athen warten, bei dem sie die Gründe für ihren Asylantrag darlegen sollen. Die Realität sieht anders aus: Insgesamt sind es um die 5000 Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika, die hier auf ihre Weiterreise warten. Allein im Hauptort Vathy überstieg die Anzahl der Geflüchteten die Zahl der heimischen Bevölkerung. «Die Flüchtlinge sitzen in diesen Lagern fest, weil sie nach Dublin-Verordnung nur in demjenigen Land ein Asylgesuch stellen dürfen, in welchem sie erstmals europäischen Boden betreten haben», so Hollinger. Griechenland würde – analog zu Spanien und Italien – mit den ankommenden Flüchtlingen «alleine gelassen. Das werden sich diese Länder auf Dauer nicht gefallen lassen.»


Schlimme Zustände
Erzählt Hollinger von ihren Erlebnissen in Griechenland, klingt sowohl Freude an den vielen Bekanntschaften als auch echte Betroffenheit über die Zustände im Lager mit: «Ich war dort zum Beispiel zuständig für ein Projekt, das Corona-Stoffmasken für griechische Altenheime herstellt. Mit einer Busfahrerin aus dem Iran, einer Köchin aus Syrien und einer Lehrerin aus Afghanistan sass ich den ganzen Tag an der Nähmaschine», erzählt sie lächelnd. Schockiert sei sie von den hygienischen Zuständen im Lager gewesen: «Minimalste Standards, die für Europa selbstverständlich sein sollten, werden hier nicht eingehalten.» Für Kinder und Jugendliche sei die Situation besonders schlimm, weil sie während der Zeit im Lager keine Schule besuchen können. Mittlerweile errichtet die EU in Griechenland sogenannte «geschlossene Lager», wohl in der Absicht, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.


Bund muss handeln
Mit der Assoziierung des Dublin-Abkommens habe die Schweiz die Flüchtlingspolitik «ausgelagert». Deshalb sei es kaum überraschend, dass die Anzahl der Flüchtlinge in der Schweiz so tief sei wie seit Jahren nicht mehr. «Die Flüchtlinge schaffen es gar nicht mehr bis hierher, das Abkommen lässt dies nicht zu», so Hollinger. Die Schweiz müsse ihren Teil der Verantwortung wahrnehmen: «Dabei rede ich nicht von einer laschen Asylpolitik, sondern von einer vernünftigen massvollen Gangart, die Schutzbedüftigen im Rahmen unserer Möglichkeiten Platz bietet.» Das Thema Flüchtlinge sei in der Schweiz von der politischen Linken besetzt: «Doch nur ein breiter Konsens bringt die Flüchtlingspolitik weiter.» In ihrem Pensionsalter ist Hollinger also keinesfalls weg vom Fenster: «Ich möchte Anstösse dazu liefern, damit das Thema auf Bundesebene neu parteiübergreifend aufs Parkett kommt.»

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