«Alles auf den Kopf gestellt»
Zwischen Bangen und Hoffen: Im Wohnheim Sonnhalde Roderis war ein Mitarbeiter erkrankt und ist positiv getestet worden auf das Coronavirus.
Hast Du Angst vor dem Coronavirus? «Nein! Wir sind an einem guten Ort, weit weg von Basel, in der Natur», lautete die Antwort der Autistin Sibylla Müller im Interview mit ihrer Vertrauensperson im Wohnheim Sonnhalde Roderis. Die Hoffnung und «positive Gedanken» helfen den Bewohnern und Mitarbeitenden, die schwerste Zeit in der Geschichte der sozialen Institution zu überstehen. Man hat gegen die Krise anzukämpfen mit ihren Folgen der Isolation, doch vor allem gegen Befürchtungen von Todesängsten. Ein junger Mitarbeiter war erkrankt und ist positiv getestet worden auf das gefürchtete Coronavirus. Das war Anfang März. Erst dachte man an die Folgeerscheinung der Thiersteiner Fasnacht. Nach dem Testergebnis sass der Schrecken im Nacken.
Seither ist nichts mehr, wie es war. Gemeinsam schaffte man, das Unvorstellbare zu meistern. «Wir hoffen weiterhin, dass das Virus nicht eingeschleppt wird», sagt Simon Esslinger, Leiter der Sonnhalde Roderis auf Anfrage dieser Zeitung. «Die Hygienemassnahmen waren damals bereits voll in Gang gesetzt. Wir hatten riesiges Glück, es gab keine Ansteckungen und der junge Mitarbeiter ist wieder gesund.»
Viele Bewohner zählen zur Risikogruppe, die Vorsichtsmassnahmen seien auf allerhöchste Stufe gestellt worden. Weil es an Schutzkleidung für die Mitarbeitenden fehlt, wie sie in Spitälern erhältlich ist, beschloss man, sich selber zu helfen und schaute sich auf dem Markt nach normalen Arbeitsoveralls um, die man letztlich bei der Spilag fand.
Interviews auf der Internetseite
Sorgen machten sich die Mitarbeitenden aber auch um die emotionale Verfassung in den Wohngruppen. Aus dem Alltag und dem Rahmen der gewohnten Orientierungshilfen herausgerissen zu werden, hat hier fatale Auswirkungen auf das Leben. Vor allem der Verlust der sozialen Kontakte ist mit viel Leid und Schmerz verbunden, gibt Esslinger zu bedenken. «Was in den sozialen Institutionen derzeit geleistet wird, überragt die bisherigen Vorstellungen.» Alles musste auf den Kopf gestellt werden. Die Bewohner müssen sich von Menschen fernhalten und vielen liebgewonnenen Strukturen trennen, insbesondere von ihren Arbeitsorten, wo sie sich geborgen fühlen.
«Mit Spaziergängen versuchen wir zumindest dem Bedürfnis nach Bewegung entgegenzukommen – und mit Hilfe der neuen Technologien versuchen wir die Kommunikation mit den Familienangehörigen und Freunden aufrechtzuerhalten», schildert Esslinger. Und mit einer eigenen Internetseite (https://www.sonnhalde-roderis.ch/) geben die Bewohner den Menschen Hoffnung. So erfährt man im Interview: «Ich freue mich, dem Ungeheuer die Stirn zu bieten», meint Autist Niki Cueni. Und David Brouwer gibt zu verstehen: «Ich glaube, das Ganze ist ein Fake. Ich fühle mich wie abgeschottet vom Rest der Welt. Wie in einem Gefängnis. Ich verstehe nicht, warum ich nicht in der Autowerkstatt arbeiten darf.» Auf die Frage nach der Kontaktaufnahme meint Cueni: «Wir rufen lauter», während Adriano Duhanaj erzählt, dass er dreimal pro Tag über den Facebook-Messanger oder über Facetime sich austauschen könne. «Facetime ist wie Skype, ich mach das mit dem iPad und später rufe ich auch noch Jessica an», führt er aus. Raul Weber ergänzt, dass er über Videostream mit seiner Mutter und mit seinem Götti telefoniere. Auf die Frage, was ihnen bei den Stichworten Medien, Politik und Verordnungen durch den Kopf gehe, sagt Fabian Haller: «Das Virus soll aufhören, damit die Regierung wieder alles öffnet. Alle sollen wieder arbeiten können.» David Brouwer: «Ich informiere mich bewusst nicht, da ich an der Wahrheit zweifle und mich das verrückt macht.» Fabian Goetschy: «Immer ständig über das Virus sprechen. Es soll endlich aufhören. Lieber positive Gedanken haben.» Die spürt Niki Cueni: «Herrlich, wie alle sich einbringen. Ich finde es eine richtig tolle Zeit, voller Herzlichkeit und Disziplin.»