Linda verlässt ihren Dorfladen
Kaum jemand kennt das Dorfgeschehen so gut wie Linda Schneider. Seit 46 Jahren führt sie in dritter Generation den Dorfladen in Wahlen. Ende April wird sie aufhören. Ob der Laden weiter bestehen wird, ist ungewiss.
Wer in Wahlen einkaufen will, geht zur Linda. So nennen die Wahlnerinnen und Wahlner ihren Dorfladen, der ein breites Sortiment an Nahrungsmitteln, Getränken und Haushaltsartikeln anbietet, liebevoll. Es ist auch ein Ort sozialer Kontakte. Linda Schneider ist geduldig: «Die Vereinsamung hat in den letzten Jahren extrem zugenommen. Immer mehr Menschen leben alleine. Und so kommen immer wieder Menschen zu mir in den Laden, um von ihren Problemen zu erzählen. Dabei entstehen immer wieder spannende Gespräche.»
Verändert hat sich im Lauf der Jahre vieles. In den 1940er eröffnete der Grossvater den Laden. Es war nicht der einzige Laden im Bauerndorf. Insgesamt gab es fünf Lebensmittelläden. Nach dem Grossvater übernahm die Mutter das Geschäft und mit 18 Jahren stieg Linda ins Familienunternehmen ein. «Das war nicht mein Traumberuf. Gerne wäre ich Physiotherapeutin geworden. Doch ich hatte nicht den Mut, mich gegen meine Eltern zu wehren», erzählt Linda Schneider. Finanziell unabhängig von der Gemeinde führt sie den Laden nun seit 46 Jahren. Unterstütz wird sie jeweils an drei Nachmittagen pro Woche von zuverlässigen Frauen. Linda Schneider baute sich neben dem Laden ein Einfamilienhaus und zog zwei Söhne gross. Als Ausgleich zur Arbeit begann sie zu joggen und gewann zahlreiche Läufe, auch Bergläufe.
Stammkundschaft verschwunden
Das Verkaufsverhalten habe sich in den Jahren stark gewandelt: «Früher hatten wir eine treue Stammkundschaft, die alles bei uns einkaufte. Wir konnten auf sie zählen und die Bestellungen danach richten», erinnert sich die Geschäftsinhaberin. Heute existiere kaum mehr eine Stammkundschaft, was die Einkaufsplanung schwierig mache. Ein massiver Rückgang sei mit dem Aufkommen von Lidl und Aldi entstanden. Während der Coronazeit seien die Verkaufszahlen zwar auf frühere Zeiten angestiegen, danach, mit der Aufhebung der Massnahmen, jedoch massiv eingebrochen.
Viele Faktoren machen das Überleben schwierig: Der Kleinmengenzuschlag, die Unberechenbarkeit des Verkaufs, die kleinen Margen auf Frischprodukte oder der schlechte Verkauf von Trockenprodukten wie zum Beispiel Dosen, auf denen eine grössere Marge liegt. Nachmittags wird der Laden schlecht frequentiert, aber die Öffnungszeiten stärker einzuschränken, wäre für die Attraktivität schlecht. Die Geschäftsfrau könnte stundenlang von Erlebtem erzählen. Von unverschämten Forderungen und bösen Worten, weil sie sich die Freiheit nimmt, täglich joggen zu gehen. Vor allem schwärmt sie aber von den vielen tollen Menschen, die sie kennen gelernt hat, vom grossen Teil der Kundschaft, der es gut meint und sie unterstützt und von den Kindern, die sie gross werden sah. Auch hier änderte sich die Zeit: Gab es früher beim Einkaufen ein Bonbon, sind es heute wegen der Zähne Salzstängeli.
Laden und Wohnung können gemietet werden
Seit August ist Linda Schneider eigentlich pensioniert. Im April ist sie nun bereit, die Arbeit abzugeben. Der Laden und die 6-Zimmer-Wohnung können ab dann gemietet werde. «Natürlich wäre es schön, wenn auch ich weiterhin in Wahlen einkaufen könnte. Aber die Mieter sollen entscheiden, wie sie die Räumlichkeiten nutzen wollen. Wer Interesse am Laden und der Wohnung hat, kann sich gerne bei mir melden», meint Linda Schneider. Sie freut sich, in Zukunft mehr Zeit mit den Enkelkindern zu verbringen und mehr Zeit für Hobbys zu haben.