Tempo 30 im Kägen: Weniger Lärm und Abgase vor Spitzenfirmen

Mit Reinach stimmt zum ersten Mal eine Basel­bieter Gemeinde über Tempo 30 in einem ­Gewerbegebiet ab. Die Idee dahinter: es den Firmen leicht machen, begehrte Mitarbeitende anzuziehen.

Gewerbegebiet: Auf den breiten Strassen manövriert viel Schwerverkehr. Foto: Kenneth Nars

Tempo 30 ist in den Wohngebieten der Agglomerationsgemeinden seit Jahren Standard und im Grundsatz kaum mehr umstritten. Anders ist das in der Abstimmung, die am 9. Juni in Reinach ansteht. Dort geht es nämlich um die Einführung von Tempo 30 im Kägen. In diesem Gewerbegebiet wird kaum gewohnt, dafür umso mehr gearbeitet und produziert. Ein Gewerbegebiet, in dem die Geschwindigkeit reduziert ist, wäre «Betreten von Neuland», wie der Gemeinderat in der Vorlage an den Einwohnerrat schrieb.

So sollen im Kägen, im Gegensatz zu Wohnquartieren, kaum bauliche Massnahmen der tieferen Geschwindigkeit Geltung verleihen. Grund ist, dass die vielen Lastwagen «Manövrierflächen» brauchen, die der Gemeinderat nicht schmälern will. Entsprechend kosten die Massnahmen mit 36000 Franken vergleichsweise wenig. Eine weitere Besonderheit: Um Rückstaus zu vermeiden, soll Tempo 30 nicht direkt an den Eingängen zum Gewerbegebiet signalisiert sein, sondern etwas danach. Tempo 30 soll das Kägen für zu Fuss Gehende und Velofahrende sicherer machen.

Gut Ausgebildete wollen Besprechungen draussen abhalten

Hinter der Geschwindigkeitsreduktion steckt aber eine weitere Überlegung: Wie viele Gewerbeareale befindet sich das Kägen im Wandel. Es gibt immer weniger klassisches Handwerk, dafür immer mehr «wissensbasierte Dienstleistungsarbeitsplätze», wie die Sachkommission Bau, Umwelt und Mobilität des Einwohnerrats schrieb. Ein angenehmes Arbeitsumfeld sei angesichts des «Kampfs um Talente» ein wesentliches Ziel im Kägen. So würden Besprechungen oft draussen stattfinden. Mit Tempo 30 «sollen Betriebe der Kreativwirtschaft und Wissensgesellschaft ­angelockt und zum Bleiben motiviert werden», so die Kommission. Davon profitiere die Gemeinde finanziell.

Davon liessen sich die Bürgerlichen im vergangenen September im Einwohnerrat nicht überzeugen. Sie argumentierten, im Kägen gebe es bereits jetzt kaum Unfälle, «und es spielen hier keine Kinder auf der Strasse», so Thierry Bloch (FDP). Man wolle «keine weiteren Verbote und unbegründete Einschränkungen», meinte Csaba Zvekan (SVP). Die beiden Parteien ergriffen das Behördenreferendum. Deshalb kommt es am 9.  Juni zur ersten Volksabstimmung im Baselbiet über Tempo 30 in einem Gewerbegebiet. Anderswo im Kanton ist das kaum ein Thema. Nur das Gewerbegebiet rund um den Dornwydenweg in Arlesheim ist eine Zone 30. Hingegen hört in Muttenz die Tempo-30-Zone rund um das Gewerbe entlang der Hardstrasse auf. Im Prattler Grüssen, wo die Fachmärkte Menschen zu Fuss und auf dem Velo anziehen, darf man 50 fahren. In weiten Teilen der Rheinhäfen gilt Tempo 40.

Allschwil hat mit dem Bachgraben ein Gewerbegebiet mit fast nur sehr hochwertigen Dienstleistungsarbeitsplätzen. Dort tobt der Kampf um hochausgebildete Fachkräfte und Unternehmen aus der ganzen Welt. Demnächst dürfen die Allschwiler Stimmberechtigten über flächendeckendes Tempo 30 abstimmen – das Bachgraben und auch das Gewerbegebiet Ziegelei sind nicht im Perimeter.

Dreispitz ist ein Sonderfall

Nicole Nüssli, noch bis Ende Juni Allschwiler Gemeindepräsidentin, sieht keinen Handlungsbedarf und meint: «Die Firmen sind ja bisher schon gekommen.» Allerdings hat die Gemeinde im Bachgraben auch schon Anstrengungen unternommen, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern, etwa mit kleinen Grünflächen.

Einen Sonderfall findet man im Dreispitz. Sowohl im Stadtbasler als auch im Münchensteiner Teil des Gewerbeareals gilt flächendeckend Tempo 30. Das ist aber nicht die Folge von politischen Entscheiden der Gemeinde oder des Kantons Basel-Stadt. Vielmehr gehört das ganze Areal der Christoph Merian Stiftung (CMS). Diese hat aus eigenem Antrieb die tiefere Geschwindigkeit eingerichtet.

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