Sprachförderung im Tierpark: So lernen Kinder in Reinach Deutsch

Seit diesem Herbst läuft in Reinach ein Pilotprojekt zur Sprachförderung. Es ist ein Baustein für Chancengleichheit.

Spielerisches Lernen: Reinacher Kinder mit Sprachförderbedarf erhalten im Tierpark einen Zugang zur deutschen Sprache.
         
         
            Foto: zvg

Spielerisches Lernen: Reinacher Kinder mit Sprachförderbedarf erhalten im Tierpark einen Zugang zur deutschen Sprache. Foto: zvg

Zum Anfassen: Die Kinder lernen die Namen der Tiere kennen 
und können diese gleich streicheln. Foto: zvg

Zum Anfassen: Die Kinder lernen die Namen der Tiere kennen und können diese gleich streicheln. Foto: zvg

Ab Januar wird im Kanton Baselland jährlich flächendeckend eine Sprachstanderhebung durchgeführt unter den Eltern von Kindern, die im darauffolgenden Kalenderjahr schulpflichtig werden – also in den Kindergarten kommen. Das Ziel bestehe darin, den Sprachförderbedarf der Kinder zu ermitteln, heisst es vonseiten des Kantons. Den Gemeinden wird dann mitgeteilt, bei welchen Kindern Sprachförderbedarf besteht.

In Reinach läuft dazu bereits in diesem Jahr ein Pilotprojekt. Sämtliche Kinder mit Sprachförderbedarf wurden in den Tierpark an der Austrasse eingeladen. Dort erhielten sie eine Stunde lang einen spielerischen Zugang zur deutschen Sprache.

Am Freitagmorgen kurz vor 9 Uhr ­warten Severine Schürch von der Tiergestützten Frühen Förderung, Nicole Schreier von der Frühen Sprachförderung und Sabine Paneth, die Koordinatorin der Fachstelle für Frühe Förderung, vor dem Tierpark auf die Kinder. Es ist ein kalter Novembermorgen, die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Doch von den Kindern fehlt jegliche Spur. Kurz nach 9 Uhr taucht das erste Kind auf. Es soll an diesem Freitagmorgen das einzige von sieben Angemeldeten bleiben, das am Termin teilnimmt. Die restlichen Kinder fehlen – vier davon unentschuldigt. Die übrigen wurden krankheitsbedingt kurzfristig abgemeldet.

Der klassische Vorführeffekt, weil ein Journalist dabei ist? In der Tat ist es so, dass die vorherigen Termine besser besucht waren. Die Situation an diesem Freitagmorgen zeigt aber eine Schwierigkeit des Projekts «Sprachförderung im Tierpark»: Die Eltern müssten noch vom Angebot überzeugt werden. Es herrsche eine gewisse Skepsis bei den Eltern, bestätigt Sabine Paneth. Diese könne aber beim ersten Termin jeweils widerlegt werden.

Nicht nur die Sprache wird gelernt

Das Kind, das am Freitag teilnimmt, ist bereits zum zweiten Mal im Tierpark. Es ist warm eingepackt. Beatrix Wichtermann, Leiterin der Fachstelle für Frühe Förderung, ist erfreut. «Beim ersten Termin war der Junge noch zu dünn angezogen und hatte kalt», sagt sie. Die Realität sei oftmals, dass die Kinder vor allem drinnen und vor dem Fernseher aufwachsen würden. Gerade darum sei ein Angebot wie die Sprachförderung im Tierpark so wichtig. «Diverse Studien belegen die positiven Wirkungen der Frühen Förderung. Dazu gehören neben den sprachlichen Fähigkeiten auch gesundheitliche Aspekte wie das wettergerechte Anziehen», sagt Paneth.

Der dreijährige Junge am Freitag sei ein gutes Beispiel dafür. Er spricht kein Wort Deutsch, versteht aber bereits beim zweiten Termin die ihm gestellten Fragen. Während der 60 Minuten wird ausschliesslich Deutsch gesprochen. Er lernt die Tiere des Tierparks kennen, zählt sie und darf sie auch streicheln. In den ersten Minuten sucht er ständig seinen Vater, klammert sich zwischenzeitlich sogar an dessen Bein. Nach nur zehn Minuten springt er freudig von einem Tiergehege zum nächsten. Wo sein Vater ist, interessiert ihn nicht mehr. Am Ende kann er sämtliche Tiere benennen und sogar auf Deutsch zählen, wie viele es sind. Nach seinem ersten Besuch im Tierpark hätten ihn seine Eltern zudem in einer Spielgruppe angemeldet, erklärt Wichtermann. Damit haben die Verantwortlichen genau das erreicht, was sie mit ihrem Angebot bezwecken wollen.

Reinach, das jüngst erneut das Unicef-Label «kinderfreundliche Gemeinde» erhalten hat, bietet 1,5 Jahre vor dem Kindergarteneintritt einen kostenlosen Halbtags-Besuch einer Spielgruppe an. Dazu müssen die Eltern an der Sprachstand­erhebung der Uni Basel teilnehmen, die ab Januar dann im ganzen Kanton obligatorisch sein wird. Dabei füllen die Eltern einen Fragebogen aus. Anhand der Antworten wird eruiert, welche Kinder eine Sprachförderung benötigen. Deren Eltern werden dann von der Gemeinde angeschrieben. Es erhalten aber alle Kinder, deren Eltern an der Spracherhebung mitgemacht haben, einen Gutschein für einen halben Tag, da die Kinder durch den Besuch einer Spielgruppe oder Kita in ihrer Entwicklung gefördert werden können. Diejenigen, die Sprachförderbedarf haben, werden zusätzlich in den Tierpark eingeladen.

Angebot geht im Frühling weiter

Kinder hätten ein Recht auf freie Entfaltung in den Bereichen Motorik, Soziales, Sprache und kognitives Lernen. Die Frühe Förderung betrifft die Lebensphase ab Geburt bis zum Eintritt in den Kindergarten. Sie steht für faire Bildungschancen für alle Kinder und verbessert die Voraussetzungen für zukünftige wirtschaftliche Eigenständigkeit, deshalb sollte Chancengleichheit aller Kinder bei der Einschulung geschaffen werden. Die Sprachförderung im Tierpark ist ein Baustein dafür.

Das Angebot fand in diesem Herbst erstmals statt. Im kommenden Frühling ist die zweite Phase des Pilotprojekts. Wichtermann und ihr Team hoffen, dass dann bei wärmerem Wetter wieder mehr Kinder kommen. Und so weitere Erfolgsgeschichten, wie die des am Freitag anwesenden Jungen, geschrieben werden können.

Die vier anwesenden Frauen sind überzeugt von der Wichtigkeit des Angebots. Dass Reinach bei der Umsetzung des vom Kanton vorgegebenen Sprachfördergesetzes eine Vorbildfunktion einnimmt, macht sie stolz. Wie es nach dem Frühling mit dem Projekt weitergeht, ist aber noch nicht geklärt.

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