Plötzlich mehr Einnahmen als gedacht: Die Steuererhöhung fällt aus
Kurz vor der entscheidenden Parlamentsabstimmung macht der Gemeinderat eine Kehrtwende und empfiehlt die Steuererhöhung zur Ablehnung.
Die Überraschung war gross und glich einem Geschenk zum Valentinstag an die Bevölkerung, als am Wochenende publik wurde, dass der Reinacher Gemeinderat auf die für das laufende Jahr angesetzte und von ihm selbst noch im Dezember beantragte Steuererhöhung von 54,5 auf 57 Prozent verzichten möchte. Dies hatte der Gemeindepräsident Melchior Buchs (FDP) höchstpersönlich in einem E-Mail, das er den Einwohnerrats- und den Fraktionspräsidenten am Samstag zukommen liess, mitgeteilt. Er empfahl, bei der Abstimmung im Parlament am vergangenen Montag gegen die Steuererhöhung zu stimmen.
Pikant an der spontanen finanzpolitischen Kehrtwende ist, dass die Abstimmung vom Montag über den Steuerfuss 2022 nur nötig wurde, weil an der Einwohnerratssitzung im Dezember, als das Gremium der Steuererhöhung eigentlich zugestimmt hatte, nicht genau ausgezählt, sondern nur geschätzt wurde, wie viele Ratsmitglieder mit Ja gestimmt hatten. Für eine Steuererhöhung braucht es im Einwohnerrat eine Zweidrittelmehrheit. Dieser Formfehler machte es dem Gemeinderat möglich, sich «rasch an neue Entwicklungen und Situationen anzupassen und flexibel zu entscheiden», so der Gemeindepräsident. Um die finanzielle Situation Reinachs stehe es zwar nach wie vor nicht glänzend, doch weit weniger schlimm als prognostiziert: Statt des budgetierten Verlusts von gut 9 Millionen wird die Jahresrechnung 2021 mit einem kleinen Verlust von gut 400000 Franken abschliessen, und dies, ohne finanzpolitische Reserven aufzulösen.
Steuereinnahmen höher als gedacht
Der verbesserte Jahresabschluss resultiere aus höheren Steuereinnahmen von rund 6 Millionen Franken und tieferen Ausgaben, fast alle Leistungsbereiche blieben unter dem Budget. Auf die Kritik, warum der Gemeinderat erst wenige Tage vor der Abstimmung wisse, wie es um den Jahresabschluss stehe, konterte Buchs: «Eine Gemeinde ist kein Produktionsbetrieb, der sein Ergebnis relativ genau abschätzen kann.» Gerade Steuereinnahmen durch international tätige Konzerne, von denen es in Reinach welche gibt, können zu plötzlichem Geldsegen führen.
Zudem hatte der Gemeinderat aufgrund der Pandemie sehr vorsichtig budgetiert, was zu der positiven Überraschung beigetragen haben könne. Die Empfehlung des Gemeinderates, auf die Steuererhöhung zu verzichten, stiess neben einiger Kritik mehrheitlich auf Zustimmung. «Trotz des erfreulichen Ergebnisses herrscht bezüglich der Finanzlage der Gemeinde nicht eitel Sonnenschein», mahnte Buchs. Eine Steuererhöhung in den kommenden Jahren ist damit nicht grundsätzlich vom Tisch.
Velobrücke: Wichtig oder unnötig?
Weiter diskutiert wurde über eine Velo- und Fussgängerbrücke, die künftig das Reinacher Industriegebiet Kägen mit dem Bahnhof Dornach-Arlesheim verbinden soll (siehe Wochenblatt vom 10.2.). Der Kanton hatte zusammen mit der Gemeinde eine 130 Meter lange und 4,5 Meter breite Stahlbrücke geplant, die vom Christoph-Merian-Ring her über die Autobahn A18 bis zur Fluhstrasse verlaufen soll. Da das Projekt von Bund und Kanton unterstützt wird, muss Reinach nur einen Viertel der Kosten tragen, «deshalb ist es jetzt der richtige Zeitpunkt, dieses Projekt in Angriff zu nehmen», sagte der zuständige Gemeinderat Markus Huber (SP) am Montag. Von Seite der SVP wurde das Projekt aufgrund der finanziellen Situation der Gemeinde als unnötig taxiert. Der Einwohnerrat überwies das Geschäft am Montag an die Sachkommission Bau, Umwelt und Verkehr (BUM), in der es analysiert und beraten wird.