«Ich bin nicht behinderter als andere auch»
Walter Beutler, seit seiner Kindheit im Rollstuhl, ist nicht nur ein grosser Indienfahrer, sondern auch ein glänzender Autor. Sein zweites Buch «Bevor mir die Worte ausgehen» steckt voller Weisheiten.
Er möchte nicht mit den Fussgängern tauschen, um nichts in der Welt, schreibt Walter Beutler. Walter Beutler sitzt seit seiner Kindheit aufgrund von Kinderlähmung im Rollstuhl. Heute wundert er sich über die Fussgänger: «Die Beine werden abwechselnd nach vorne geschleudert, die Arme baumeln unbeteiligt oder im Gegenrhythmus. Und der Kopf wippt lustig dazu.» Für manche werden diese Aussagen nicht nachvollziehbar sein. Doch wenn man sein Buch «Bevor mir die Worte ausgehen» gelesen hat, bekommt man eine andere Sichtweise auf die Welt. Und das ist gut so.
Walter Beutler, 1956 in Basel geboren, gelähmt und im Heim aufgewachsen, verspürt gegenüber dem Leben keine Bitterkeit. Er sei «zwar ein Mensch mit Körperbehinderung, aber trotzdem nicht behinderter als andere auch». Seine Geschichte umreisst er im neuen Buch als «Zickzackkurs durchs Leben: Gymnasium, Studium der Biologie und Ethnologie (ohne Abschluss), Strassenmusik, wilde Achtziger. Reisen, Reisen, Reisen. Übersetzerdiplom mit Spanisch und Französisch als Fremdsprachen». Seit seiner Kindheit ist Beutler ein «militanter Leser».
«Ich kann’s nicht» gibt’s nicht
Bis vor einiger Zeit wohnte Walter Beutler in einer Zweizimmerwohnung in Arlesheim, doch die Umstände wurden ihm zu beschwerlich. Nun lebt er in einem der neuen Zimmer im Wohn- und Bürozentrum für Körperbehinderte (WBZ) in Reinach. Dort ist er Sachbearbeiter im Grafischen Service-Zentrum. Beutler reiste in seinem Leben viel. Er verbrachte ein halbes Jahr in Ecuador, besuchte Vietnam und schrieb über seinen dreimonatigen Indienaufenthalt 2015 ein spannendes Buch.
Beutlers Hauptmaximen lauten: 1. Ein «Ich kann’s nicht» gab und gibt es kaum für mich, nur ein «Ich will’s versuchen». 2. Heute lebe ich. Wer weiss, was morgen ist? Die Zeit vergeht, nutze den Tag und erinnere dich an deine Sterblichkeit. 3. Alles wird gut. Die schwierigste Situation tritt dann ein, «wenn ich – im Rollstuhl sitzend – mich gegen eine Person durchsetzen muss, die steht».
Es gibt Reaktionen, die er nicht mag: «Ich mag nicht, wenn man Mitleid mit mir hat. Oder genauer: Ich mag Mitleid nur, wenn ich wirklich leide. Und das ist zum Glück selten der Fall.» Wenn jemand aufgrund des Rollstuhls glaubt, ihn nicht ernst nehmen zu müssen, werde er «fuchsteufelswild» oder bekomme «eine äusserst spitze Zunge».
Feinsinnig und intelligent
Zur Inklusion sagt er: «Von einer inklusiven Gesellschaft sind wir weit entfernt – und entfernen uns teils mehr und mehr. Am stossendsten empfinde ich, dass wir vorläufig Aufgenommene, also Menschen, die bei uns Schutz suchen und bis auf weiteres hierbleiben werden, weil sie zum Beispiel nicht in ein Kriegsgebiet zurückgeschickt werden können, dass wir solche Menschen bis zum Überdruss ausgrenzen und ihnen das Leben hier möglichst schwer machen.»
Sein neues Buch «Bevor mir die Worte ausgehen» ist das Gegenteil von geschwätzig. Es ist feinsinnig, sprachlich geschliffen und intelligent. Es handelt vom Schreiben, enthält Kurzware, Gedichte, Tagebucheinträge und Gedanken zu Behinderung und Tod. Es ist wie eine köstliche reduzierte Sauce: reduced to the max.
Walter Beutler: Bevor mir die Worte ausgehen. Ausgewählte Texte der letzten zwanzig Jahre.
Verlag BoD – Books on Demand, Norderstedt 2022, 132 S.
ISBN 978-3-75577-928-5
Bestellungen direkt beim Autor: Tel. 061 703 88 10 oder walter.beutler@bluewin.ch