Die Wiederentdeckung eines Propheten
Die Krönung der Galeriennacht ist die Präsentation des Werks von BOM, dem Reinacher Visionär Bruno Otto Meyer. Interessierte Kunstliebhaber erwartet ein wahrer Marathon.
Thomas Brunnschweiler
Neun Reinacher Galerien sind offiziell der Galerien-Nacht angeschlossen, die alle zwei Jahre – alternierend zu Kunst in Reinach – stattfindet. Speziell zu erwähnen ist die Präsenz der Gemeinde- und Schulbibliothek, die im Lichthof des Gemeindehauses Kunstbücher zeigt und einen Wettbewerb durchführt. Bereits seit dem letzten Freitag sind in einer Retrospektive in der Galerie Werkstatt und im Gemeindehaus die Werke von BOM zu sehen, der im Januar dieses Jahres im Alter von 92 Jahren verstarb und damit diese wichtige Werkschau nicht mehr erleben durfte.
«Abendland ist längst untergegangen»
Im der Galerie Werkstatt an der Brunngasse sind die Frühwerke des 1921 geborenen Künstlers zu sehen, zudem ein Modell des berühmten BOM-Hauses und eine Fernsehdokumentation aus dem Jahr 1983. In den frühen Landschaftsbildern fällt die Souveränität in Farbgebung und Komposition auf, die auf eine solide künstlerische Grundausbildung schliessen lässt. In einem Selbstporträt blickt Bruno Otto Meyer mit grossen Augen halb nachdenklich, halb verloren am Betrachter vorbei. Schon in den 1960er-Jahren trat er als pazifistischer christlicher Visionär in Erscheinung. 1974 erhielt er mit seinem BOM-Haus, das auf runden Formen und einer Philosophie der asketischen Lebensweise basierte und mit Abfallmaterialien hergestellt werden konnte, eine Bronzemedaille an der Erfindermesse in Genf.
1983 hatte er die Gelegenheit, in Reinach BOM-Bauten als Provisorien zu errichten. Hier verlas er seine Proklamation einer permanenten gewaltfreien Revolution. Mitten im Kalten Krieg verstand er sich als Prophet und Analytiker der Gegenwart. Seine Bilder wurden ebenfalls prophetischer. «Die Gläubigen und Heiligen in einem Atomkrieg, welche die letzten Kerzen der Jenseitshoffnung in Händen tragen», wollte er malen. Hoffnung und Beklemmung treffen sich. «Das Abendland ist schon längst untergegangen», sagte BOM einmal.
Tendenz zum Gesamtkunstwerk
Im Gemeindehaus sind das mittlere Werk und das Spätwerk des Künstlers zu sehen. BOM bediente sich der Materialien, die er unmittelbar zur Hand hatte. Die Leinwände und andere Unterlagen wirken fast behelfsmässig. Oft kam Kunstharz zum Einsatz. Der fiebrige Pinselstrich und die radikale Farbgebung verraten den Getriebenen, der längst aus dem ästhetisierenden Kunstbetrieb ausgestiegen ist. Sein riesiges Tableau «Zeichen am Himmel» im Lichthof wirkt apokalyptisch wie das letzte Gericht einer gotischen Kathedrale. BOM kann ohne Übertreibung in eine Reihe mit Beuys und Hundertwasser gestellt werden, weil er das Gesamtkunstwerk anstrebte und gleichzeitig damit etwas zum «Heil wirken» wollte. Dieses Erbe ist nicht nur materiell und könnte für die Stadt Reinach etwas wie eine Verpflichtung sein.
Reinacher Galeriennacht, Samstag, 26. 10., Vernissage Gemeindehaus, 19 Uhr; alle Galerien 20–24 Uhr; Sonntag, 27. 10., alle Galerien 15–17 Uhr.