«Der Dorfbrunnen ist immer wieder unser Schwimmbad gewesen»
Das Palais noir feiert in diesen Tagen sein 30-jähriges Bestehen. Im Gespräch mit dem «Wochenblatt» erzählen die damals «bewegten Jugendlichen» Thomas Nichele, Brigitte Liechti und Dave Scherer von den Anfängen des Reinacher Jugendhauses.
Axel Mannigel
Wochenblatt: Welche Erinnerungen haben Sie heute noch an 1984, das Baujahr des Palais noir?
Thomas Nichele (Jahrgang 1960): Gute Erinnerungen! (Lacht, die anderen nicken.) Uns begleitete eine kreative, positive Energie, die uns den Weg zeigte, wie man mit gewissen verkrusteten und sonstigen Schablonen umgeht und etwas Neues daraus wachsen lassen kann.
Dave Scherer (1963): 1984 war ein freudiges Jahr. Damals war das Palais noir ja noch anders als heute. Nach der Fertigstellung hat es nur ein Konzept gegeben – aber kein Reglement. Autonome Abende ohne die Leiter waren gelebte Normalität. Wir hatten die Schlüsselgewalt und konnten eigentlich machen, was wir wollten. Das ist zum Teil ziemlich schräg rausgekommen. Aber das war für die Entwicklung der meisten von uns sehr wichtig.
Thomas Nichele: Uns war extrem wichtig, uns nicht organisieren, steuern und bevormunden zu lassen.
Brigitte Liechti (1962): Das hat auch super funktioniert mit den Sozialarbeitern, weil die das unterstützt haben.
Dave Scherer: Genau. Doch irgendwann ist dann die damalige Gemeindepräsidentin Eva Rüetschi gegen das Konzept auf die Barrikaden gegangen und hat es in ein Reglement geändert.
Sie haben mehrere Jahre für ein Jugendhaus gekämpft. Wie haben Sie das das Haus denn nachher genutzt?
Brigitte Liechti: Das Wichtigste war, dass wir einen konsumfreien Ort hatten, um uns zu treffen. Statt auf der Strasse abzuhängen, sind wir dort gewesen. Kaffeetrinken, Kochen, Tanzen und natürlich tolle Konzerte. Irgendetwas ist immer gelaufen. Wir haben uns getroffen, haben miteinander geschwatzt und dann ist jedes Mal etwas Neues entstanden.
Bis zum Reglement …
Brigitte Liechti: Da sind wir zum Glück alle nicht mehr dabei gewesen.
Thomas Nichele: Dank der Vorarbeit ist das Reglement nie so tragend und einschneidend gewesen. Denn mit unseren Aktionen haben wir eine wichtige Basis gelegt. So haben wir beispielsweise einmal die Mischeliwiese zum Campingplatz umfunktioniert. Der Dorfbrunnen ist auch immer wieder unser Schwimmbad gewesen. Und am Banntag haben wir uns mit einem eigenen Jugendhaus aus Stoff und Holz eingeschlichen. Wir haben viel Spass gehabt.
Heute haben Sie alle selbst Kinder. Wie hat sich die Jugend in den letzten 30 Jahren verändert?
Dave Scherer: Als ich gestern mit dem Drämmli von Basel nach Reinach gefahren bin, ist mir extrem aufgefallen, dass einfach alle auf ihre Smartphones starren. Keiner redet mit dem anderen. Klar, technologisch ist seither extrem viel passiert. Aber damals kannte man die Telefonnummern der Kollegen alle auswendig, das kann heute niemand mehr.
Was ist von der ganzen Kreativität von damals übrig geblieben?
Dave Scherer: Ein ehemaliger Lehrer sagte mir vor ein paar Jahren, wir wären zwar eine Saubande gewesen und er hätte es nicht einfach mit uns gehabt. Aber er würde sich nichts anderes wünschen, als uns als Klasse wieder zurückzubekommen. Wir hätten uns wenigstens interessiert und auch gewehrt. Da habe ich mich ein Stück weit geehrt gefühlt. Wir sind einfach viel freier gewesen und nicht so beeinflusst. Heute werden die Kinder schon früh von den Medien manipuliert. Und zwar den ganzen Tag.
Thomas Nichele: Vielleicht ist da aber auch der Aufruf an uns, nicht aufzugeben und Lücken und Wege zu finden, um andere Ideen auf der Welt wachsen zu lassen. Damals ging es zum Beispiel um das Baumsterben und die AKW, heute sind es Flüchtlinge, Solar- und Windenergie. Dass wir da jetzt weitergehen, das wäre eigentlich der Traum vom Jugendhaus weitergeträumt.
Braucht Reinach heute immer noch ein Jugendhaus?
Thomas Nichele: Es braucht mehrere (Gelächter). Im Ernst: Was ich meine, ist eine Energie. Das Palais noir ist ein lebensbejahendes Projekt, das tut jeder Gemeinde, jedem Dorf und der Welt gut. Also: Machen wir noch eins!
Brigitte Liechti: Es ist doch toll, zu wissen, wo mein Kind ist. Nicht irgendwo auf der Strasse, sondern an der Wärme. Das Palais noir braucht es auf jeden Fall – auch heute noch.
Ausstellung, Broschüre und Jugendhaus
Noch bis zum 8. Februar 2015 zeigt das Heimatmuseum Reinach die Ausstellung «Politik, Protest und Palais noir». Gezeigt wird die zehnjährige Entstehungsgeschichte der kommunalen Jugendpolitik, der anfänglich experimentellen Jugendarbeit und der partizipativen Jugendkultur. Information und Öffnungszeiten siehe unter www.heimatmuseumreinach.ch. Zur Ausstellung ist eine gleichnamige, 50-seitige Broschüre von Aleksandar Zaric erschienen, erhältlich für 15 Franken im Stadtbüro.
Das Jugendhaus stellt das Palais noir an der Bruggstrasse 95 ist ein niederschwelliges Freizeit- und Beratungsangebot für alle Jugendlichen im Alter von 12 bis ca. 20 Jahren.
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