725 ungültige Wahlzettel – Protestakt der SVP oder jede Menge Spassvögel?
Bei der Wahl des Gemeindepräsidiums wurden ungewöhnlich viele leere und ungültige Stimmzettel eingelegt. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen.
Genau 725 von 5812 der eingegangenen Wahlzettel, also rund 12 Prozent, waren bei der Gemeindepräsidiumswahl vom Sonntag, 4. März, leer oder ungültig. Bei der Abstimmung zum Quartierplan Schönenbach am selben Tag waren es deutlich weniger, rund 4 Prozent. Und lediglich 2,5 Prozent leere und ungültige Stimmen wurden bei der eidgenössischen Billag-Vorlage gezählt. Wie erklärt sich dieser hohe Anteil an leeren und ungültigen Stimmen bei der Wahl des Gemeindepräsidiums? Noch am Wahlsonntag wurde gemunkelt, dass es sich hierbei um Proteststimmen aus Kreisen der SVP-Basis handeln könnte. Die Partei ist trotz eines Wähleranteils von fast 30 Prozent nicht im Gemeinderat vertreten. Die FDP, die der SVP inhaltlich am nächsten steht, hatte der Volkspartei bei den Gemeinderatsersatzwahlen im November 2017 ihre Unterstützung für SVP-Kandidatin Caroline Mall verweigert und auf eine Wahlempfehlung verzichtet. Ist der hohe Anteil an leeren und ungültigen Stimmen nun als Retourkutsche an die Adresse der Freisinnigen respektive an deren – am Ende knapp gewählten – Kandidaten Melchior Buchs zu verstehen?
Auf Anfrage des «Wochenblatts», ob es sich bei den vielen leeren Wahlzetteln um eine konzertierte Aktion der SVP handle, sagt Parteipräsidentin Caroline Mall: «Die SVP hat an ihrer Versammlung Stimmfreigabe beschlossen. Weshalb viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger leer eingelegt haben, entzieht sich meiner Kenntnis.» Es sei aber schon möglich, dass es einige Proteststimmen von SVP-Wählern gab», so Mall weiter. «Hätte die FDP mich bei den Gemeinderatswahlen unterstützt, wäre die SVP jetzt sicher im Gemeinderat vertreten und wir hätten zusammen mit der FDP die bürgerliche Mehrheit plus das Gemeindepräsidium.» Seitens der SVP sei man sehr froh, dass die bürgerliche Wende in Reinach nun geschafft worden sei. Ohne Stimmen der SVP wäre dies nicht möglich gewesen.
SVP-Einwohnerrat Adrian Billerbeck kann sich gut vorstellen, dass einige SVP-Wähler ihre Stimme nicht an Melchior Buchs geben wollten, dies aus folgendem Grund: «Buchs wird als Gemeinderatspräsident kräftemässig einer Minderheit im Gemeinderat angehören und oft überstimmt werden», so Billerbeck. Dies sei auch der Grund gewesen, warum FDP-Gemeinderat Klaus Endress im Jahr 2016 trotz Spitzenresultat nicht für das Amt des Gemeindepräsidenten kandidierte. «Die SVP ist im Gemeinderat nicht vertreten und kann somit auch nicht für eine bürgerliche Mehrheit im Gemeinderat sorgen.» Ganz anders äussert sich SVP-Ratskollege Steffen Herbert. Er glaubt nicht daran, dass die leeren und ungültigen Zettel von der SVP stammen: «In meinem Umfeld ist klar gewesen, dass ein sehr grosser Teil sich für Melchior Buchs entscheidet.» Die ungültigen Stimmen kämen von «Unzufriedenen oder Spassvögeln», glaubt Herbert.
Ferner gilt es auch zu bedenken, dass einige leere und ungültige Stimmen von linker Seite herrühren könnten. Die SP, welche fast 30 Jahre lang das Präsidium in ihren Händen hielt, verzichtete nach dem Abgang von Urs Hintermann und nach dem Verlust eines Gemeinderatssitzes auf eine Kandidatur.
Billag-Vorlage wichtiger
Laut Jacqueline Kilchherr, der Präsidentin des Reinacher Wahlbüros, können ungültige Stimmzettel eine Vielzahl von Gründen haben: Manche Wähler/-innen vergessen etwa bei brieflicher Stimmabgabe zu unterschreiben, wodurch ihre Stimme ungültig ist. «Bei uns in Reinach fehlen bei jedem Urnengang auf bis zu drei Prozent der Stimmrechtsausweise Unterschriften.» Manchmal seien die Zettel auch schlicht und einfach unleserlich oder enthalten ehrverletzende Äusserungen, was den Stimmzettel ebenfalls ungültig macht. Ob diese Zettel von der SVP-Basis kamen, kann Kilchherr nicht beurteilen. Auch in anderen Gemeinden in der Schweiz wurden am vergangenen Wahl- und Abstimmungssonntag viele ungültige Stimmen gezählt. Ein Grund dafür könnte sein, dass die No-Billag-Initiative mehr ungeübte Wähler mobilisiert hat.