Zu spät? Nun kommt die Impfung für die Blauzungenkrankheit
Die Politik machte Druck. Nun können Schafhalter aufatmen, doch der Schaden ist bereits angerichtet.
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schreibt in einer Medienmitteilung, dass ab sofort Impfstoffe gegen die momentan wütende Blauzungenkrankheit eingesetzt werden dürfen. Für die Schafhalter im Baselbiet kommt dieser Entscheid reichlich spät. Vor einem Monat war Swissmedic der Meinung, dass die Datenlage der nicht zugelassenen Impfstoffe für eine notfallmässige Anwendung nicht ausreichen würde. Ausserdem hätte die rechtliche Grundlage im Tierseuchengesetz einen solchen Einsatz nicht zugelassen.
Zahlen der betroffenen Tierhaltungen angestiegen
Das BLV wurde aufgrund einer kürzlich im Ständerat beschlossenen Motion aktiv. Diese verlangt, dass man die notfallmässige Anwendung gesetzlich rasch ermöglichen solle. Die Baselbieter Ständerätin Maya Graf, Mitglied der zuständigen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, meint: «Auf unseren Druck hin hat der Bund nun endlich reagiert.»
Die Zahlen der betroffenen Tierhaltungen im stark heimgesuchten Baselbiet sind seit dem ersten bekannten Fall vom 30. August im Kanton Jura stetig angestiegen. Mittlerweile sind auf über 100 Betrieben laborbestätigte Fälle der Blauzungenkrankheit bekannt, wie Telebasel jüngst berichtete. Die Dunkelziffer dürfte jedoch um einiges höher sein. Tierarzt Paul Zulliger von der Ergolzpraxis in Gelterkinden sagt: «Wir machen momentan Überstunden. Die Krankheit dürfte sich bereits flächendeckend im Kanton ausgebreitet haben.» In den meisten Betrieben, die sie im Oberbaselbiet betreuten, habe es Tiere, die Symptome aufwiesen.
In über 90 Prozent der Fälle bestätige sich der Verdacht nachher im Labor. Darum verzichte man mittlerweile darauf, jeden Verdacht zu testen, so Zulliger. Die Blauzungenkrankheit wird von einer Mücke übertragen und befällt Wiederkäuer wie Kühe, Ziegen und Schafe. Bei Kühen ist der Verlauf der Krankheit milder, sie weisen jedoch oft eine verringerte Milchleistung auf. Schafe hingegen werden oft sehr krank, leiden stark und sterben teilweise. Sie können nun geimpft werden, doch für Zulliger stellt sich die Frage, ob es noch Sinn ergibt, in schon befallenen Herden zu impfen.
In einem Schreiben des Baselbieter Amts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen an die Tierhalter steht, dass nun die Strategie verfolgt wird, eine Impfempfehlung von Januar bis März 2025 auszusprechen, um für den kommenden Frühling eine Grundimmunisierung zu erreichen. Denn während des Winters verringert sich die Aktivität der Mücke, erhöht sich jedoch bei steigenden Temperaturen wieder. Bilanz gezogen über die entstandenen Schäden kann wahrscheinlich erst zu einem späteren Zeitpunkt. Erschwerend kommt hinzu, dass das BLV keine Angaben zu den verendeten Tieren macht. Markus Dörig vom Schafzuchtverein Baselland und Umgebung sagt: «Über die Aborte und Verluste der Tiere verliert man kein Wort.»
Sein Mitstreiter Toni Pianta aus Tenniken teilt den Unmut: «Es war noch nie so schlimm wie jetzt.» Vom ersten Fall Ende August im Kanton Jura vergingen zehn Tage, bis die Schafhalter an einem Anlass zur Moderhinke-Sanierung im Ebenrain informiert wurden. Davor hatte es laut Pianta gar keine Informationen gegeben. Er findet: «In der heutigen Zeit hätte man ein Mail schreiben können, um die Halter frühzeitig zu informieren.» Nichts davon habe stattgefunden, so Pianta.
Kommunikation der
Behörden wird bemängelt
Die Not ist nun gross. Tierarzt Paul Zulliger sagt: «Eine halbe Stunde nachdem die Medienmitteilung des BLV rausging, bekam ich den ersten Anruf.» Nun müsse mit den Lieferanten geschaut werden, wie schnell der Impfstoff aufgetrieben werden könne, so Zulliger. Die Kritik der Schafhalter hält Zulliger teilweise für berechtigt. Doch am Geschehen hätte eine bessere Kommunikation vonseiten des Veterinäramts wenig geändert. Da aus der Erfahrung anderer europäischer Länder, die schon früher mit der Blauzungenkrankheit konfrontiert waren, bekannt war, dass die Impfung die einzige hilfreiche Massnahme ist, stellt sich die Frage, warum das BLV erst jetzt reagiert. Swissmedic schreibt auf Anfrage, dass aufgrund der starken Zunahme der Fallzahlen das potenzielle Risiko von nicht zugelassenen Impfstoffen nun tiefer eingeschätzt wurde als der zu erwartende Nutzen einer Impfung. «Das hätte man schon vor sechs Monaten feststellen können», so Markus Dörig. Die Impfstoffhersteller hätten eine gewisse Erfahrung und könnten die potenziellen Risiken abschätzen. Ausserdem gebe es Erfahrungen mit Impfungen aus den Jahren 2008 und 2009. Bei den Schafzüchtern in Süddeutschland sah man bereits vor zwei Monaten, dass die Mortalität sehr stark sinken würde, sagt Dörig. Unweigerlich ploppen Assoziationen zur Covidpandemie auf, bei der die anfängliche Verantwortungsdiffusion der verschiedenen Staatsebenen mehr Leid als nötig erzeugte.