Wie Motorradpionier Urs Erbacher gegen den Vorwurf des Coronakredit-Betrugs kämpft

Viele kleine Betriebe kamen während der Pandemie in eine missliche Lage. Ein Kredit des Bundes sollte ihnen in der Not helfen. Urs Erbacher schaffte es trotzdem nicht über die Runden. Nun erzählt er seine Leidensgeschichte.

Büezer: Urs Erbacher in seiner Werkstatt auf dem Metalli-Industrieareal in Dornach. Bild: Kenneth Nars

Dunkle Tattoos an den kräftigen Armen. Ein warmer Blick. Und darunter ein sanftes Lächeln. Urs Erbacher steht in der Garagentür einer der unzähligen Hallen auf dem lang gezogenen Metalli-Areal in Dornach. Noch wurde der Industriecharme hier nicht von der Gentrifizierung wegradiert. Gewerbebetriebe finden hier Platz. Tüftler. Büezer wie Urs Erbacher. An den Wänden erinnern grosse Poster an unbeschwerte Tage. Sie ­zeigen Urs Erbacher auf extravaganten Motorrädern. Auf einem Fat Boy, der durch den «Terminator»-Film mit Arnold Schwarzenegger weltberühmt wurde und in den 1990er-Jahren einen Run auf Harley-Davidson-Maschinen auslöste. «Eigentlich sind das schlechte und überteuerte Töffs», sagt Erbacher und lächelt. «Aber sie sind halt Kult.»

Für den Aescher ergab sich aus dem Hype um die Motorräder mit tiefgelegtem Sitz ein Geschäftsmodell. Der Tüftler machte sich in der Szene als Motorradmechaniker rasch einen Namen und motzte Boliden aller Marken auf. So, wie es die Kunden wünschten.

Nebenbei war Erbacher auf 8000 PS starken Autos unterwegs und jagte als Dragster-Rennfahrer Rekorde. Sein Ruf brachte ihm Erfolg. Zwei renommierte Motorradmarken schlossen Exklusivvertretungsverträge mit ihm ab. Er opferte das Tüftlerwesen an Occasionsmaschinen und wurde Töffhändler und Servicestelle der grossen Marken Indian und Victory. Bald aber bekam Erbacher den Verkaufsdruck der Töffhersteller zu spüren. Er musste als letztes Glied in der Konsumlinie spuren. Je mehr Maschinen er verkaufte, desto höher war seine Marge.

Kaum war er umgezogen, kam Corona

Der Druck auf Erbacher erhöhte sich zusätzlich, als er 2019 nach über 16 Jahren seine Garage in Arlesheim verlassen musste. Vergebens suchte er nach einem neuen Lokal mit Schauraum. Auch die Hoffnung auf einen durch private Investoren finanzierten Neubau zerschellte. Also zog Erbacher in die Dornacher Metalli – eine Industriezone fernab der Menschenströme. Mit seiner Frau baute er neben der Garage eine Beiz auf. «Kaum waren wir hier, kam Corona», sagt Erbacher an einem der massigen Tische. Alles stand still. «Wir lassen euch nicht im Stich!», sagte Simonetta Sommaruga, als der Bundesrat die Schweiz im März 2020 in den Corona-Lockdown schickte.

Leere Versprechen

Vier Jahre später fühlen sich diese Worte für Erbacher wie ein leeres Versprechen an. «Nach der Züglete hatten wir kein Geld mehr», erzählt er. Um dem Abwärtsstrudel entgegenzuwirken, wollte der Motorradhändler bei der Bank einen ordentlichen Kredit aufnehmen. Der Kundenberater der Basler Kantonalbank kannte Erbacher persönlich und empfahl ihm, einen Coronakredit zu beantragen. Er wusste um die finanzielle Situation des Motorradhändlers Bescheid.

Urs Erbacher vertraute dem Banker und bezog einen Kredit über 100000 Franken. Geld, das er dringend benötigte, um die ausstehenden Löhne und offenen Rechnungen zu begleichen. Mit einem ausgewiesenen Umsatz von gut 1,6 Millionen Franken hätte er theoretisch gar mehr Geld beziehen können.

Ohne Schauraum keine Lizenz für die grossen Marken

Aber der Kredit konnte den Niedergang von Erbachers Töffunternehmen nicht aufhalten. Er verlor ohne Schauraum die Lizenz der grossen Marken. Der Arlesheimer rettete, was zu retten war, und meldete Konkurs an. Seine Motorradkunden übernahm ein Angestellter und Kumpel. Gut ein Jahr später flatterte bei Erbacher eine Strafanzeige wegen Coronakredit-Betrugs ins Haus. Der gefallene Büezer geriet in die Mühlen der Justiz. Er sagt: «Da wird quasi mit dem Finger auf einen gezeigt. Ich war schockiert, wie die Staatsanwaltschaft immer tiefer und tiefer gewühlt hat.»

Auf Empfehlung wählte er den Basler Andreas Noll als seinen Anwalt. Ein Strafrechtler, der sich für die Kleinen einsetzt. Einer, der den Staat herausfordert – und dessen Tun gern hinterfragt. Das wird zuweilen als Provokation empfunden. Er sei weder Richter noch Staatsanwalt, so Noll. Die «Provokation» sei seine Funktion als Strafverteidiger und sie bringt ihm immer wieder Erfolg.

Jeden einzelnen Franken in die Firma gesteckt

Seine Mission im Fall Erbacher: aufzeigen, dass es sich hier nicht um einen Betrüger handelt, der sich mit dem Kredit Luxusferien, teure Autos oder Casino­besuche finanzierte. Sondern um einen Büezer, der jeden einzelnen Franken in die Firma steckte. Durch das vereinfachte Kreditvergabeverfahren lockte der Bund auch Menschen an, die darin eine Chance sahen, aus der globalen Krise Profit zu schlagen und über die persönlichen Verhältnisse hinaus zu leben.

Eine Strafverfolgung dieser Fälle ergebe durchaus Sinn, sagt Noll. Den «formalistischen Schematismus» gegen alle, die es «wirtschaftlich nicht über die Coronapandemie geschafft haben», verurteilt er hingegen scharf. Nach erstinstanzlicher Verurteilung zog Noll die Anklage gegen Urs Erbacher an das Baselbieter Kantonsgericht weiter.

Das Strafgericht hatte befunden, der Niedergang des Motorradunternehmens habe sich bereits vor der Pandemie abgezeichnet. Daher hätte Urs Erbacher nie einen Kredit beantragen dürfen. «Niemand weiss, wie es ihm ohne Coronapandemie ergangen wäre», hält sein Anwalt dagegen. Andreas Noll schreibt in seiner Berufung, die hochrangige Wirtschaftskanzlei Kellerhals Carrard würde auf breiter Front Strafverfahren gegen Coronakredit-Betrüger anstrengen, «um den Bund zulasten der ohnehin nicht nur finanziell, sondern auch psychisch angeschlagenen Mitbürgerinnen und Mitbürger schadlos zu halten». Der Bundesrat sei damals für seine Grosszügigkeit in den Medien gefeiert worden – die hart arbeitenden Büezer müssten nun aber über Jahre mit dem brandmarkenden Stigma eines Betrügers leben.

Departement für Wirtschaft sieht keine Ausschreibepflicht

Noll holt – wie es seine Art ist – zum Gegenangriff aus. Er provoziert mit einer Strafanzeige gegen die Bundesräte Ueli Maurer und Guy Parmelin. Der ­Millionenauftrag an die schweizweit operierende Wirtschaftskanzlei sei nie öffentlich ausgeschrieben worden, prangert er an.

Damit konfrontiert, heisst es aus Guy Parmelins Departement für Wirtschaft: Die Bürgschaftsgenossenschaften des Bundes, welche die Kredite vergaben, hätten die Kompetenz erhalten, Dritte beizuziehen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Darunter fallen auch die Rückforderungen der Kredite. Der Bund stellte hierzu bis Ende 2021 Mittel im Umfang von rund 40 Millionen Franken zur Verfügung. Es handle sich um privatrechtliche Organisationen, die nicht dem ­öffentlichen Beschaffungswesen verpflichtet seien – und somit den Auftrag nicht ausschreiben müssten, begründet das Departement für Wirtschaft.

Vor dem Kantonsgericht freigesprochen

Im Prozess gegen Urs Erbacher gewann Noll in zweiter Instanz vor dem Kantonsgericht. Der Motorradhändler wurde von der Urkundenfälschung und vom Betrug freigesprochen. Die Misswirtschaft blieb an ihm hängen. «Das Urteil steht quer zu allen bisherigen Entscheiden in der Schweiz», sagt Noll ganz cool. Er bezweifelt, dass die Wirtschaftskanzlei das Urteil ans Bundesgericht weiterziehen wird. Nolls Geschichte könnte nämlich zum Präzedenzfall werden.

Erbacher selbst will nur baldmöglichst raus aus dieser Geschichte und sich wieder auf seine Leidenschaft konzentrieren. Ein wenig habe er das Vertrauen in den Staat verloren, sagt er. «Ich habe über zehn Lehrlinge ausgebildet, dafür kriege ich keinen Rappen.»

In der Werkstatt erhellen sich seine Gesichtszüge wieder. Ein paar alte Porsches werden mit neuen Motoren aufgemotzt. Sie würden «retrofit» gemacht, wie man im Fachjargon sagt, erklärt Erbacher. Nun tüftelt er wieder an Motoren. Für ihn eine ganze Welt. In der kompletten Unabhängigkeit habe er sich am wohlsten gefühlt. Dahin will er zurück. Am liebsten bliebe er noch möglichst lang in der Metalli in Dornach, sagt Urs Erbacher.

Zwei Jahre läuft der Mietvertrag noch. Und bis zur Pension ist es für ihn nicht mehr weit. Irgendwann soll die Metalli zum Wydeneck werden, zu einem hippen Quartier mit industriellem Charme. Den Büezer Erbacher wird nicht mehr kümmern, was dann ist.

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