«Weil sie so verfressen ist, konnte ich sie schnell mit Mehlwürmern bestechen»
Tana Wüthrich aus Hochwald vermittelt ihre Tiere erfolgreich an Film- und Theaterproduktionen.
Tana Wüthrich lebt in einer grossen WG. In Hochwald steht ihr Wohnwagen in der Nähe eines Feldwegs. Daneben ein luftiges Gehege, an dessen Zaun ein Metallschild hängt. «Zuhause ist, wo meine Hühner sind», steht drauf, und dieser Satz ist wahr. Durch und ums Gehege staksen eine Handvoll Hennen und zwei Hähne, aber das sind längst nicht alle von Wüthrichs Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern. Zahme Tauben landen auf dem Wohnwagen, eine Katze streift gelassen umher, eine junge Hündin hopst auf Wüthrichs Schoss. Auf der anderen Seite des Feldwegs geniessen ein Esel, ein Pferd und zwei Kühe die Nachmittagssonne dieses späten Novembermittwochs.
Nicht weiter ungewöhnlich – wären die Tiere nicht künstlerisch tätig. Wüthrich führt keinen Nutztierhof, sondern trainiert ihre Tiere für die Bühne und die Kamera. «Das sind meine Filmtiere», sagt die 24‑Jährige. Einem grösseren Publikum bekannt sein dürfte der imposante Esel Ferdinand, der in der Saison 2022 als Sidekick der Clowns Ursus & Nadeschkin im Zirkus Knie auftrat. Oder die Kuh Nena, auf der Wüthrich gelegentlich durch den Hochwald reitet. Videos dieser Ritte holten vor drei Jahren knapp eine Million Klicks auf Tiktok.
Sind Tiere die besseren Freunde?
«Was genau mich an Tieren so gepackt hat, kann ich nicht sagen», sagt Wüthrich. «Aber die Faszination war schon immer da.» Ihre Eltern, zwei Lehrpersonen aus Hochwald, hätten nicht unbedingt viel mit Tieren zu tun gehabt. Sie wiederum habe schon als kleines Kind den Hunden ihrer Grosseltern oder ihrer Tante Tricks beigebracht. Als Teenager, so erzählt sie, verbrachte Wüthrich einen Grossteil ihrer Freizeit mit Tieren. Stundenlang sass sie auf Wiesen, beobachtete die Kühe und Pferde. Dabei lernte sie unterbewusst, deren Körpersprachen zu lesen und ihr Verhalten zu analysieren. «Ich bin lieber unter Tieren als unter Menschen», sagt sie. «Tiere sind unglaublich loyal, die machen dir nie was vor. Ausser vielleicht Papageien – die sind so schlau, die können dich an der Nase herumführen.»
Nach der Matur (Maturarbeit: «Die Tellington-Methode zur Ausbildung von Rindern zu Reit-, Zug- und Therapietieren») jobbte Wüthrich erst in der Gastronomie und machte dann ein Praktikum auf einer renommierten Filmtier-Ranch in Bayern. Zurück in der Schweiz absolvierte sie eine Ausbildung zur Landwirtin, ohne die sie offiziell gar keine Tiere besitzen dürfte. Wegen der Kuhritt-Videos von 2021 berichteten einige Medien über Wüthrich, die dadurch erste grosse Aufträge erhielt. Und seither läuft es.
Auch weil Wüthrich mit ihrer zweiten Leidenschaft, der Musik, gut verdient. An Hochzeiten, Geburtstagen und Firmenanlässen tritt die Sängerin unter dem Namen Tana Lou auf. Vor einem Jahr nahm sie an der Talentshow «The Voice of Germany» teil. Erfolglos zwar – aber ohne sich entmutigen zu lassen.
Nächsten Frühling soll ein Album kommen. «Animal trainer during the day. Singer-Songwriter at night» ist im Beschrieb ihrer Social-Media-Profile zu lesen.
Eine engagierte Schauspielerin
Am vergangenen Novembermittwoch in Hochwald standen zwei Auftritte unmittelbar bevor. Allerdings keine musikalischen. Wüthrichs Henne Lady Diana, die ebenfalls im Gehege rumgurrt, trat am Wochenende im Badener Kurtheater und in der Alten Reithalle Aarau auf. Beide Male im dezent humorvollen Drama «Die Glasmenagerie» (1944), in der Inszenierung des Regisseurs Stephan Kimmig.
Im Originaltext des US-amerikanischen Autors Tennessee Williams taucht kein Huhn auf, es handelt sich um eine Ergänzung Kimmigs. In seiner Version gehört das Huhn der jungen Frau Laura (Linn Reusse), die unheimlich schüchtern ist und kaum je die Wohnung verlässt. Stattdessen spielt sie mit ihren Tieren aus Glas und ihrem leibhaftigen Huhn.
Premiere gefeiert hat Kimmigs Inszenierung schon 2016 am Deutschen Theater in Berlin. Seit diesem Jahr gehört es zum Programm des Vereins «Weiterspielen Productions», der ältere, aber beliebte Inszenierungen wieder auf die Bühne bringt. «Weiterspielen»-Premiere der «Glasmenagerie» war vergangenen Frühling in Liechtenstein. Die Besetzung blieb dieselbe wie schon 2016 – bis aufs Huhn. Weshalb Wüthrich gebucht wurde.
Gefragt war ein grosses Huhn, das auch aus der hintersten Reihe gut sichtbar ist. Wüthrich holte sich drei besonders prächtige Exemplare, trainierte diese und wählte daraus das fähigste Tier. Es war die beeindruckende Lady Diana, die sich wegen ihres aufgeschlossenen Charakters, vor allem aber wegen ihrer Verfressenheit für die Rolle qualifizierte. «Weil sie so verfressen ist, konnte ich sie sehr schnell mit Mehlwürmern bestechen», erklärt Wüthrich. Mehlwürmer seien für Hühner eine «absolute Delikatesse», was erlaube, durch ihr Verfüttern bestimmte Handlungen positiv zu besetzen. Je verfressener ein Huhn also, desto ausdauernder sein Trainingswille.
So war Lady Diana in der «Glasmenagerie» als ruhige Akteurin zu bewundern, als unaufgeregtes Gegenüber der traurigen Laura. Nach Baden und Aarau begleitet wurde die Henne von ihrer Hühnerfreundin Silky und ihrer Trainerin Wüthrich, die vom Zuschauerraum aus überwachte, dass alles glattging.