«Öl und Kupplungsstaub statt Ferien am Strand»

Jndia Erbacher aus Aesch krönte sich Anfang September zur Europameisterin im Dragracing, obwohl sie wegen finanziellen Engpässen nur drei von fünf Rennen bestreiten konnte.

Über 10000 Pferdestärken: Bei einem Dragster-Start wirkt rund das sechsfache Körpergewicht auf Jndia Erbacher ein, das Auto beschleunigt von 0 auf 100 km/h in 0,6 Sekunden. Auf der rund 300 Meter langen Rennstrecke, wie hier am Santa Pod Raceway, erreicht die Baselbieterin einen Top-Speed von über 500 km/h. Foto: zvg

Über 10000 Pferdestärken: Bei einem Dragster-Start wirkt rund das sechsfache Körpergewicht auf Jndia Erbacher ein, das Auto beschleunigt von 0 auf 100 km/h in 0,6 Sekunden. Auf der rund 300 Meter langen Rennstrecke, wie hier am Santa Pod Raceway, erreicht die Baselbieterin einen Top-Speed von über 500 km/h. Foto: zvg

Glücklich: Jndia Erbacher zehn Tage nach dem Gewinn des Europameister-Titels 
in ihrer Garage im Wydeneck in Dornach. Foto: Nicolas Blust

Glücklich: Jndia Erbacher zehn Tage nach dem Gewinn des Europameister-Titels in ihrer Garage im Wydeneck in Dornach. Foto: Nicolas Blust

Es ist geschafft. Jndia Erbacher wird zum ersten Mal zur Top-Fuel-Europameisterin im Dragracing. Der Titel kommt für sie überraschend: «Wir hätten nie damit gerechnet», sagt Erbacher im gemeinsamen Gespräch in ihrer Garage im Wydeneck-Areal in Dornach. Und das hatte gute Gründe. Sie kann nur an drei von fünf Rennen starten, da das Geld nicht ausreicht, um an allen Wettbewerben mit einem konkurrenzfähigen Boliden an den Start zu gehen. Und sie geht als Gesamtdritte als Underdog ins abschliessende Rennwochenende am Santa Pod Race­way in England.

Dort harzt es bereits in der Qualifikation. «Wir hatten Probleme mit der Gewichtsverteilung», erklärt Erbacher. Die ersten drei Qualifikationszeiten sind zu langsam. Der Traum vom Titel rückt in weite Ferne. Aber dann findet Erbachers Team doch noch rechtzeitig die perfekte Abstimmung. Und die Aescherin fährt im letzten Versuch Bestzeit – sie benötigt knapp 3,8 Sekunden für die 1000 Fuss lange Strecke (305 Meter). Das Rennen um den Gesamtsieg ist lanciert.

Dank ihrer Qualifikationszeit hat sie im Viertelfinal ein Freilos. Im Halbfinale trifft sie dann auf die grosse Konkurrentin um den Titel. Nach dem Sieg ist klar: Erbacher wird den Titel holen. Im anderen Halbfinal überquert keiner die Ziellinie, somit startet die 30-Jährige im Final ohne Gegner. Sie muss lediglich über die Ziellinie rollen, die Fahrtzeit spielt keine Rolle mehr. Der Ehemann ihrer Halbfinal-Gegnerin entpuppt sich dabei als schlechter Verlierer. Als Streckenbesitzer gibt er Erbacher lediglich 60 statt 90 Minuten Zeit, um das Auto für den Finallauf bereitzumachen – ­eigentlich zu wenig, meint Erbacher. Trotzdem gelingt es ihrem Team und Erbacher rollt im Schneckentempo über die Ziellinie. Ein unwürdiger Abschluss einer überragenden Dragster-Saison, in der die Baselbieterin auf der Strecke ungeschlagen bleibt. «Wir wollten im Final eigentlich eine neue Bestzeit fahren», verrät sie. Bereits 2019 fuhr sie einen europäischen Geschwindigkeitsrekord, der mittlerweile aber gebrochen wurde.

Rückreise am Montagabend, Büroschicht am Dienstagmorgen

Erbacher und ihr Team feiern anschliessend bis tief in die Nacht, erst am Montagabend kehren sie wieder in die Schweiz zurück. Und die Europameisterin? Muss am Dienstag um 7.30 Uhr wieder im Büro in Muttenz an der Fachhochschule Nordwestschweiz sein. Denn auch wenn sie die schnellste Frau Europas ist, Geld verdient sie mit dem Rennsport nicht. Sie und ihr Team machen alles ehrenamtlich. «Statt Ferien am Strand gibt es bei uns Öl und Kupplungsstaub», sagt Erbacher schmunzelnd. Die Siegprämien und Sponsoreneinnahmen reichen knapp aus, um die Kosten zu decken.

Eine frustrierende Situation, wie Erbacher verrät. Der Motorsport werde in der Schweiz fast schon verachtet. Immer wieder scheitern Gespräche mit potenziellen Sponsoren, Motorsport passe halt nicht ins ökologische Bild, das die Firmen anstreben. Erbacher lebt von ihren Fans und Donatoren, dem Klub 111. Mit 111 Franken pro Jahr kann man die Rennfahrerin unterstützen.

Trotz der schwierigen Situation will Erbacher mit ihrem Rennstall in Europa bleiben. Der Traum von Nordamerika möchte sie aber nicht vollständig begraben. Sie stand einmal bereits kurz vor dem Auswandern, lebte bereits zweieinhalb Monate in den USA. Dort realisierte sie aber, dass sie Freunde und Familie doch zu stark vermisse: «Ich brauche die Familie und meinen Hund als Ausgleich zum Rennsport.» Jährlich ein paar Rennen in den USA zu bestreiten, «wäre aber schon geil.» Doch auch dafür fehle aktuell das Geld.

So bleibt Erbachers Zukunft ungewiss, aufhören ist für sie aktuell aber kein Thema. «Ich will meinen Titel verteidigen», sagt sie. Irgendwann würde sie auch gerne mit ihrem Vater Urs gleichziehen, der in seiner illustren Karriere sechs Europameister-Titel sammeln konnte. Und vor allem will sie weiterhin die Zeit mit ihrem Team geniessen: «Ich habe das Glück, dass ich tolle Menschen um mich herumhabe, die mich tatkräftig unterstützen.» Das Team sei seit Jahren das gleiche, obwohl alle ehrenamtlich arbeiten. Ohne sie wären die Erfolge undenkbar, unterstreicht Erbacher, die in der Garage auch selbst Hand anlegt.

Am Ende sei es vor allem die familiäre Stimmung im Team und an den Renntagen, welche die Faszination für diesen Rennsport ausmachen. An den Rennwochenenden sei man jeweils in Tuchfühlung mit den Fans. In England und am Hockenheimring in Deutschland seien das schon gerne mal bis zu 50000 Menschen.

Wer Erbacher und ihr Team näher kennen lernen will, kann dies am 2. November an der Season-Ending-Party im Wydeneck in Dornach tun. Dort werde dann auch der 10000 PS starke Motor des Dragsters ein letztes Mal angeworfen.

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