Kreative Provokation und Pop-Art im Netz

Liz Haas und Luzius Bernhard machen seit fast 30 Jahren als Ubermorgen Kunst. Der Pax Award führte Bernhard zurück nach Basel.

Neugierde und Lust am Experiment: Luzius Bernhard (im Bild) und Liz Haas von Ubermorgen setzen sich in ihren Werken seit Jahren auf vielfältige Weise mit der digitalen Welt auseinander. Foto: zVg

Neugierde und Lust am Experiment: Luzius Bernhard (im Bild) und Liz Haas von Ubermorgen setzen sich in ihren Werken seit Jahren auf vielfältige Weise mit der digitalen Welt auseinander. Foto: zVg

Aktenberg: Die Aktion «Vote Auction» hatte einen Rechtsstreit zur Folge. Foto: zVg

Aktenberg: Die Aktion «Vote Auction» hatte einen Rechtsstreit zur Folge. Foto: zVg

Zwei osteuropäische Geschäftsleute geben US-Bürgern auf einer Website die Möglichkeit, ihr Stimmrecht für die Präsidentschaftswahlen an die höchstbietende Person zu versteigern. Eine Aktion, die 2023 gar nicht einmal weit hergeholt klingt, ist tatsächlich eine künstlerische Intervention, die bereits 23 Jahre alt ist.

Natürlich versteigerten Luzius Bernhard und lizvlx – alias Liz Haas –, die zusammen Ubermorgen bilden, mit «Vote Auction» nicht tatsächlich Stimmen. Das Künstlerduo sorgte bei der Bush/Al-Gore-Wahl im Jahr 2000 aber dennoch für Furore – und heimste sich ein schweres Nachspiel ein: 700 Kilogramm an Dokumenten, darunter diverse einstweilige Verfügungen, häuften sie an.

Eine etwa halbstündige Sendung der CNN über die Aktion «Vote Auction» führt heute zurück in die Schweiz, zum Freilagerplatz ins Haus der Elektronischen Künste: Die Art Foundation Pax kaufte diese Dokumentation des Projekts im Rahmen der Verleihung des diesjährigen Pax Award an Ubermorgen.

Die Preisverleihung am letzten Donnerstag war für den 1971 geborenen Bernhard bis zu einem gewissen Grad ein Heimkommen, da der Künstler in Basel aufwuchs. Als Kind ist er hier im Museum für Gegenwartskunst zum ersten Mal mit Kunst in Berührung gekommen – und später mit Techno: «1989/1990 hat sich alles verändert. Die Musik wurde komplett technologisiert, und wenige Jahre später kam dann das Internet», erzählt Bernhard, der mit «sechs anderen Typen» während des Studiums in Wien die Avantgarde-Gruppe Etoy gründete.

Pioniere der Netzkunst

Als die Künstlergruppe Ende der 90er-Jahre auseinanderbrach, schlug Bernhard gemeinsam mit Liz Haas als Ubermorgen einen neuen Weg ein. Seither macht das Duo digitale Kunst und gehört damit zu den Pionieren der Netzkunst. Getrieben von Neugierde und der Lust am Experiment, spielen sie mit Popkultur und ironischer Intervention. Sie loten die Möglichkeiten des Internets aus und halten der Gesellschaft immer wieder den Spiegel vor – und wurden dafür bereits mehrfach mit Preisen gewürdigt.

Während die 1973 geborene Liz Haas gemäss Bernhard besonders visuell talentiert sei und ausserdem vorwiegend programmiert, sieht Bernhard sich selbst vor allem für die Konzeption und das Storytelling verantwortlich. «Ich überlege mir, wie man eine Idee weiterentwickeln, einen weiteren Dreh einbauen oder etwas Klarheit rausnehmen kann.» Wobei er allerdings eine Verschiebung feststellt: «Früher konnte man als Künstler komplett verantwortungslos agieren, weil man in der Gesellschaft ein Regulativ hatte. Heute hingegen, in einer Zeit, in der es keine Klarheit mehr gibt, fragen wir uns als Kunstschaffende, wie man Dinge ganz klarmachen kann.»

In den 23 Jahren seit «Vote Auction» hat sich nicht nur die Welt weitergedreht, auch Ubermorgen ist nicht untätig geblieben. In den Nullerjahren konzentrierten sie sich auf konzeptuelle digitale Kunst: Mit ihrer «E-Commerce-Trilogy» experimentierten der studierte Mediengestalter und die Wirtschaftlerin humorvoll und kritisch mit den Strukturen von Google, Amazon und Ebay und führten etwa das Werbekonzept von Google ad absurdum oder schafften aus E-Bay-Nutzerdaten Musikstücke.

Pop-Art mit Inhalt

Inzwischen sind Bernhard und Haas nicht mehr nur Kunstschaffende, sondern geben ihr Wissen auch weiter. Ab dem kommenden Semester haben sie einen eigenen Lehrstuhl an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Bernhards liebste Arbeit aus den letzten Jahren sind jedoch die «D1icks»: Aus Pixeln «gezeichnete» Penisse, die als NFT erworben werden können. «Ich finde sie einfach geil!», sagt Bernhard. «Auf den ersten Blick sind sie einfach Pop-Art ohne Inhalt. Aber natürlich haben sie total viel Inhalt» – und er meint damit, dass die Kryptowelt stark von westlichen Männern geprägt ist.

Am Donnerstag auf dem Freilagerplatz nahm Bernhard erfreut den Pax Award entgegen, der für Ubermorgen vor allem eines bedeutet: Zeit, um weitere Projekte auszuhecken.

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