Tierisch berührende Geschichten
Seit 22 Jahren illustriert Kathrin Schärer erfolgreich Kinderbücher. «Kann ich alleine» heisst das neuste Werk – es ist ihr fünfzigstes.
Zähne putzen, baden, auf die Toilette gehen, tapfer sein – Kinder müssen in den ersten Lebensjahren viel lernen. Dem widmet sich das Kinderbuch «Kann ich alleine», das Ende Juli im Hanser-Verlag erschienen ist. Auf 30 Doppelseiten zeigen Siebenschläfer, Fuchs, Hase und Co., wie die Alltagsaufgaben gemeistert werden. Entsprungen sind die tierischen Vorbilder der Feder – oder besser den Farbstiften – von Kathrin Schärer aus Dornach. Seit 22 Jahren illustriert die ausgebildete Lehrerin für bildnerisches Gestalten Kinderbücher; seit fünf Jahren kann sie davon leben. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet, Kritiker loben ihre detaillierten und verspielten Zeichnungen sowie ihre Gabe, die Lesenden auf eine Reise mitzunehmen – egal, ob jung oder alt.
Angefangen hat ihre Karriere mit einer illustrierten Geschichte, die sie ihrer dreijährigen Nichte zu Ostern schenkte. «Da merkte ich: Das möchte ich machen!», sagt Kathrin Schärer. Der Weg zu ihrem ersten Buch sei jedoch lang und hart gewesen: Die Illustratorin tingelte zuerst an der Frankfurter Buchmesse mit einer Mappe voller Zeichnungen von Verlag zu Verlag. «Da blättern die meisten einmal gelangweilt durch», sagt sie schmunzelnd. Beim Sauerländer-Verlag, einem der ältesten Verlage im deutschsprachigen Raum, entdeckte man ihr Talent allerdings rasch. 2001 erschien ihr erstes Buch «Bella bellt und Karlchen kocht». Ab da ebbte der Erfolg nicht mehr ab. Inzwischen hat die Illustratorin 50 Bücher veröffentlicht, 27 davon in Zusammenarbeit mit Kinderbuchautor Lorenz Pauli, 5 mit Schriftsteller Franz Hohler.
Malen, ausschneiden, aufkleben
Schärers Illustrationen entstehen in einem mehrschichtigen Prozess. Zuerst malt die Illustratorin die tierischen Figuren mit Farbstift auf Papier. Anschliessend schneidet sie die Zeichnungen aus und klebt sie auf einen Hintergrund. «Damit habe ich viele Möglichkeiten, um auszuprobieren, wie das Bild am besten wirkt.» Der Hintergrund kann so einfach und unkompliziert verändert werden. «Für den Hintergrund nutze ich neben Pigmentfarben auch selbst gemachte Stempel. Diese verwende ich zum Beispiel für Blumen oder Gräser.» Die «zusammengesetzten» Bilder werden anschliessend gescannt. Vier bis fünf Monate dauert die Arbeit an den Illustrationen, etwa ein Jahr vergeht, bis ein Buch fertig ist.
«Es muss immer alles nett sein»
Die Protagonisten sind bei Schärer fast immer Tiere. «Diese eignen sich als Identifikationsfiguren für Kinder», erklärt sie. «Fragen des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Körpergrösse, aber auch Kleidernormen fallen weg. Tiere bieten mehr Möglichkeiten beim Zeichnen», erklärt Schärer. Und sie ergänzt schmunzelnd: «Und ich mag sie sehr.»
In ihren Werken beschäftigt sich die Illustratorin viel mit Emotionen des alltäglichen Lebens. Beim Zeichnen sei deshalb vor allem die Augenpartie wichtig: «Mit wenigen Strichen verändert sich der Ausdruck eines Tieres vollkommen.» Die Inspiration für ihre Bilder gewinnt Schärer aus Filmen, aber auch aus Situationen des Alltags. Zu einem Bild aus dem aktuellen Buch habe sie ein Schulkind aus Dornach inspiriert: «Als es im Winter schneite, trug es einen riesigen Schneeball nach Hause – obwohl es zu Hause ja ebenso Schnee hatte. Das fand ich so wunderbar absurd.»
Der 54-Jährigen ist es wichtig, auch ernste Themen für Kinder zugänglich zu machen. In ihrem Buch «Der Tod auf dem Apfelbaum» erzählt sie in liebevollen Illustrationen die Geschichte eines älteren Fuchses, der nicht sterben möchte.
Das Ende sei nicht verraten, nur so viel: Das Buch ist ein schöner Begleiter für Kinder, die in ihrem Umfeld schon mit dem Tod in Berührung gekommen sind. Der Verlag habe ihr beim Gestaltungsprozess viel Freiraum gelassen. Das sei nicht immer so. Diskussionen um politische Korrektheit nehmen zu, beobachtet sie. So bat ein Verlag darum, ein kletterndes Nashorn nicht auf einem hohen Ast abzubilden – die Kinder könnten es nachahmen und runterfallen. Also sitzt das Nashorn nun auf einem tieferen Ast. «Es muss alles immer sehr nett und korrekt sein, daran nage ich zeitweise etwas. Die Bücher von Tomi Ungerer oder auch alte gruslige Märchen würden von Verlagen heute wohl nicht mehr akzeptiert. Ich hätte auch Lust, mal etwas ‹Böseres› zu machen.» Es sei ihr aber wichtig, dass eine Geschichte gut ausgehe, denn «sonst können die Kinder nicht gut einschlafen». Ja, auch einschlafen will gelernt sein. Das Eichhörnchen in «Kann ich alleine!» macht es ganz am Ende des Buches vor.
Kathrin Schärer: «Kann ich alleine!», Carl-Hanser-Verlag, 64 Seiten, 2023, ca. 20 Franken.