Ein Maler – zwei Welten: Wenn Wahrnehmung zum Bild wird

Über die Sommermonate gibt im Goetheanum das Werk des aus Lübeck stammenden Hermann Linde zu reden.

«Arabische Flickschuster in Kairo/Arab Cobblers»: Ein Werk von Hermann Linde aus dem Jahr 1891. 
         
         
            Foto: Museum Behnhaus Drägerhaus, lübeck
«Arabische Flickschuster in Kairo/Arab Cobblers»: Ein Werk von Hermann Linde aus dem Jahr 1891. Foto: Museum Behnhaus Drägerhaus, lübeck

An der Vernissage im Goetheanum erzählte Angelika Feind-Laurents, wie es zur Ausstellung kam: Sie fasste vor elf Jahren den Entschluss, zum 100. Todestag von Hermann Linde (1863–1923) eine Ausstellung auf die Beine zu stellen und ein Buch herauszubringen: «Während unserer Kindheit waren wir im Elternhaus von Hermann Lindes Kunst umgeben.» Das Buch schaffte sie selber, die grosszügige Ausstellung kuratierte Dino Wendtland vom Goetheanum.

Walter Kugler, ein Kenner der Kunst des 20. Jahrhunderts, meinte in seiner Eröffnungsrede: «Linde ist für mich der Meister der individuellen und differenzierten Körperhaltung.» Mit dieser Beobachtung im Blick, entdeckt man, wie stark seine Porträts, auch in den grossen Gemälden, von einer persönlichen wie persönlich-typischen und lebendigen Ausstrahlung und Wirkung sind. Gerade durch seine so präzisen und einfühlsamen Momentaufnahmen, die doch mehr als eine gute Fotografie auszusagen vermögen, so der Eindruck. «Auf seinen Reisen wurde er zum Menschenkenner», sagt Angelika Feind-Laurents.

In der Ausstellung hängt eine Kopie des grossen Wandbildes aus Öl, «Arabische Flickschuster/Schuhflicker in Kairo», dafür erhielt er im Rahmen einer Ausstellung in London 1893 eine besondere Auszeichnung. Seine frühen Arbeiten haben geradezu etwas Filmisches, wo die einzelne realistische Szene zum überhöhten grossartigen Bild gerät und dadurch erst zum sprechenden Bild wird, vor dem man staunend verweilt.

«Naturwahr» malen

Bevor Linde Anthroposoph wurde und für Rudolf Steiner arbeitete («Einer der Besten, die unter uns wirkten»), gehörte er zur Malerszene in München und der Künstlervereinigung Dachau und machte sich einen Namen mit seinen Zeichnungen und Gemälden, wo er seine Eindrücke verarbeitete von seinen mehrjährigen Reisen nach Nordafrika und bis nach Ceylon und Indien. Sein Ziel war es, zunächst «naturwahr» zu malen. Einer der angesehenen Künstler, Max Liebermann, rief bei der ersten Begegnung mit Lindes Bildern aus: «Wenn ick det könnte!» Linde gehörte zu den hervorragendsten Orientmalern in Deutschland. Er ist in den Museen in Lübeck und Bremen zu sehen.

Von Rudolf Steiner erhielt er den Auftrag für die Leitung der Deckenmalerei in der grossen Kuppel des Goetheanums. Die 650 Quadratmeter grosse Kuppelmalerei ist zum grossen Teil das Werk von Hermann Linde und seiner Frau Marie Linde unter Anleitung Rudolf Steiners. An der Vernichtung des Ersten Goetheanums und eines grossen Teils seines anthroposophischen Lebenswerkes durch Brandstiftung in der Silvesternacht 1922/23 ist Hermann Linde zerbrochen – wenige Monate nach dem Brand starb er. Der Künstler muss auch als Mensch von ­einem besonderen uneitlen Adel ge­wesen sein. Eine Malerin und enge Mitarbeiterin von Linde in Dornach, Hilde Boos-Hamburger, sprach von seiner «sachlichen Güte» im Umgang mit den Menschen.

Zur Ausstellung im Goetheanum erschien im Verlag am Goetheanum ein gediegener Katalog von Angelika Feind-Laurents: «Hermann Linde: ein Maler – zwei Welten», mit über hundert Abbildungen.

«Hermann Linde. Ein Maler – zwei Welten. 1863–1923», Ausstellung im ersten Stock des Goetheanums. Täglich von 9 bis 20 Uhr, bis 10. September. Zweite Ausstellung: «Die hohe Kunst der Porträt-Malerei. Hermann Linde und weitere Künstler», KunstSchau­Depot, Juraweg 2–6, bis 15. September.

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