Urgewalt der Sprache

Das Stück «Also sprach Zarathustra» des Jugendtheaters Junges M im Neuen Theater am Bahnhof vermag durch Kraft und Subtilität zu überzeugen. Hier lässt sich Nietzsche neu entdecken.

In Lichtkegeln: Im «Zarathustra» wird jeder Mensch auf sich selbst zurückgeworfen.  Foto: ZVG/Cornelius Hunziker
In Lichtkegeln: Im «Zarathustra» wird jeder Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Foto: ZVG/Cornelius Hunziker

Thomas Brunnschweiler

Bereits der Titel sagt vieles. «Also sprach Zarathustra» von Friedrich Nietzsche sind Reden einer Figur, die mit dem altiranischen Propheten Zarathustra identifiziert wird. Eigentlich bringt Nietzsche seine eigene Philosophie über eine fiktive Gestalt zum Ausdruck. Die Reden leben vom gesprochenen Wort, deshalb liegt eine Bühnenversion fast auf der Hand. Das gewichtige Werk, das vielen als Buch mit sieben Siegeln gilt, als Stück auf die Bühne zu bringen, ist ein ambitiöses Abenteuer mit einem hohen Potenzial des Scheiterns. Sandra Löwe und ihren jugendlichen Schauspielerinnen und Schauspielern ist es gelungen, Nietzsches zentrales Werk so in eine Sprechperformance zu giessen, dass weder das Wesentliche des Inhalts noch die Spannung auf der Strecke bleiben.

Dabei hat Sandra Löwe jede plakative Umsetzung vermieden. Offensichtlich haben die Fragen nach dem Übermenschen, der menschlichen Einsamkeit und der ewigen Wiederkunft die Jungen so gepackt, dass sie aus eigenem Antrieb das Stück entwickelt haben. Bereits der Anfang, bei dem die Einzelnen in Lichtkegeln wie Bäume vom Wind gewiegt werden, vermag zu faszinieren. Alle mitspielenden Personen rezitieren eine ganze Rede, die ihnen entspricht. Die Rede vom Seiltänzer wurde in Mundart übersetzt, was einen Verfremdungseffekt bewirkt, der auch dort zu verspüren ist, wo Jessica Naef eine Passage auf Englisch rezitiert und zugleich ironisiert.

Grandiose Leistung
Alle Mitspielenden verkörpern die Figur Zarathustras auf ihre eigene Weise, einmal eher listig-verspielt, einmal eher philosophisch oder tänzerisch-lyrisch. Schauspielerisch und sprechtechnisch bietet das Junge M eine grandiose Leistung. Einerseits wird spürbar, weshalb Nietzsche in frommen Kreisen bis heute als rotes Tuch gilt, andererseits strafen viele Passagen diese Vorurteile Lügen. Letztlich geht es im Zarathustra um die Menschwerdung, die Erbsünde, dass wir uns zu wenig freuen, und den Fluch des Alltagstrottes. So brandet dem Publikum der Satz «Das soll euer Fluch sein, dass ihr nie gebären werdet!» wie eine existenzielle Warnung entgegen.

Und Sätze wie «Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir selber sein» oder «Der Mensch ist das grausamste Tier» klingen auf dem Hintergrund dessen, was momentan auf der Welt geschieht, so aktuell wie nie zuvor. Am Schluss stellen sich alle wieder in ihren vertikalen Lichtkegeln auf und deklamieren flüsternd das unvergleichliche Gedicht «O Mensch! Gib acht!». Das Publikum am letzten Sonntag antwortete auf das Gezeigte und Gehörte mit lauten Bravorufen und starkem Applaus. Zu Recht, diesen «Zarathustra» muss man gesehen haben. Nicht zuletzt bringt er Nietzsche wieder ins Gespräch und ermöglicht all denen, die sich noch nie an ihn herangewagt haben, ihn zu entdecken.

Jugendtheater Junges M, «Also sprach Zarathustra»: 23.–26. April, jeweils 20 Uhr, sonntags 18 Uhr, Neues Theater am Bahnhof, Zwischenhalt, Stollenrain 17, Arlesheim.

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