Siddhartha – das volle Leben
Am letzten Donnerstag fand im Neuen Theater am Bahnhof die Premiere des Erzähltheaters «Siddhartha» statt. Dem Jugendtheater M gelang es, den gedankenschweren Stoff buchstäblich zu verflüssigen.
Thomas Brunnschweiler
Sandra Löwe, die das Jugendtheater leitet, widerstand der Versuchung, Siddhartha zu einem Drama im Sinne des Illusionstheaters umzuschreiben. Dafür bietet die Truppe «magisches Erzähltheater», in dem viele Handlungsstränge in Form eines Berichts sichtbar gemacht werden. Schon am Anfang zeigt Christine Noorlander als Zeremonienmeisterin, dass das Prinzip der fortschreitenden Handlung das Tao ist, jene alles durchdringende Kraft, welche die Nicht-Dualität des Lebens symbolisiert. Noemi Niederberger überzeugt sprachlich wie gestisch als Erzählerin der Anfangsjahre Siddharthas. Eine humoristische Brechung der Handlung gelingt durch die Einführung der Gestalt von Rajesh – gespielt von Jonathan Hug –, der in gekonntem indischem Englisch die Geheimnisse der Reinkarnation zu erklären versucht. Luca Vincenzi, der auch Siddhartha spielt, macht sich hier noch zum Affen.
Der Protagonist durchläuft nun sechs Lebensstufen. Er ist Brahmane, Samana, lebenslustiger Kaufmann, Fährmann, Vater und schliesslich Erleuchteter. Siddharta und Govinda (Jonathan Hug) begegnen dem Buddha, aber im Gegensatz zu seinem Freund schliesst sich Siddhartha dem Erleuchteten nicht an. Bei Kamla (Judith Notter) lernt Siddhartha die Liebe kennen, deren freizügige Toleranz in einer erotischen Knäuelszene zum Ausdruck gebracht wird. Die Szene wirkt zärtlich und trotz des starken Körperkontakts nicht billig oder gar peinlich. Man spürt gerade hier das gegenseitige Vertrauen der jungen Ensemblemitglieder.
Hervorragende Ensembleleistung
Andrzej Wojnicz spielt nicht nur den Buddha und den Fährmann, sondern hat die andern Mitspielenden auch in die Urgründe des Yoga eingeführt. Dieses Bewegungs- und Spielelement tut der Aufführung gut, ebenso wie die immer wieder auftauchende Figur der Wanderseele, abgeklärt gespielt von Jessica Naef. Eine starke Passage ist der wilde Tanz von Siddhartha, der unter dem laufenden Wasserhahn eines alten Boilers endet, mit dem die Bühne halb geflutet wird. Nachdem er – jetzt gespielt von Alisha Stöcklin – selbst Fährmann geworden ist und man vom Tod Kamlas und vom gemeinsamen Sohn Siddhartha erfährt, neigt sich der Spielteil dem Ende entgegen. Die Schauspieler treten aus ihren Rollen heraus, sitzen zusammen auf dem Bambusfloss und kehren zu dem zurück, was am Anfang stand: die Lektüre von Hesses Text.
Dieses Ende ist so unspektakulär wie unprätentiös. In den letzten Passagen über die Liebe wird deutlich, dass Hesse neben den östlichen Weisheiten durchaus auch jesuanische Gedanken eingebracht hat, insgesamt mit seiner Spiritualität die dogmatischen Positionen der Kirchen aber weit hinter sich liess. Und so erinnert sich der Theaterbesucher am Ende der stark beklatschten Aufführung an Hesses Gedicht «Stufen», wo es am Schluss heisst: «Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.»