Olten ist der Nabel der Welt

Der Schriftsteller Alex Capus war von der Gemeindebibliothek eingeladen worden, sein neues Buch «Mein Nachbar Urs» vorzustellen. Die Lesung fand in der reformierten Kirche statt.

Schauspielerisches Talent: Alex Capus’ Lesung war vor allem ein freies Erzählen.  Foto: Edmondo Savoldelli
Schauspielerisches Talent: Alex Capus’ Lesung war vor allem ein freies Erzählen. Foto: Edmondo Savoldelli

Edmondo Savoldelli

«Oute» nennt Alex Capus seine Stadt. Fast zärtlich betont er den Namen dieses Ortes, welcher seine Heimat geworden ist: Die Kleinstadt mit dem Fluss, dem Bahnhof, den 17385 Einwohnern und der Altstadt, die niemand kennt und in welcher nichts los ist. «Oute», in diesem jurasüdfüssigen Dialekt ausgesprochen, ist nicht zu verwechseln mit dem heutigen modischen Anglizismus. Obwohl – genau das tat Capus an diesem Abend vor allem: Er outete sich als überzeugter «Outener», als Vater von fünf Buben, der im neuen Haus am Waldrand das Dachzimmer im vierten Stock bezog, weil er hoffte, dass die kleinen Windelträger dieses über die steile Treppe nicht erreichen würden und er da störungsfrei schreiben könne.

Später dann begann er sich im Haus zu verstecken, wo ihn niemand erwartete. Am liebsten in der Sauna im Keller, die hat eine schalldichte Tür. Capus outete sich als Schriftsteller, der sich die Szenerien seiner Geschichten und Romane akribisch selbst zusammenschusterte, rein fikitiv, sozusagen. Er erfand sich eine Kleinstadt mit dem Fluss, dem Bahnhof, den 17385 Einwohnern und der Altstadt, die niemand kennt und in welcher nichts los ist …

Alles Fiktion oder was?
Charmant und mit einnehmender Bassstimme klärte Capus die gut 200 Literatur-Interessierten darüber auf, wie es zu seinem neusten Buch gekommen ist. Die 17 Geschichten, die in «Mein Nachbar Urs» vereint sind, erschienen zuerst im Oltner Stadtanzeiger als wöchentlicher Beitrag. Weg von der «Knochenbeigerei» der historischen Romane, konnte Capus hier «wahre» Geschichten aus seinem nächsten Umfeld erzählen. Nun, wahr oder fiktiv, das ist so eine Sache für sich. Wer der Fabulierlust von Capus amüsiert folgte, wusste bald nicht mehr, wo der Wind herwehte, und die Vermutung lag nahe, dass die Charakterisierung «Plaudericheibe» und «Bhauptine» mehr auf ihn selbst zutrifft denn auf die fünf Ursen, die seine Nachbarn sind. Es sind übrigens deren sechs, aber der letzte will nicht, dass er erwähnt wird.

Die angekündigte Lesung war eigentlich eine Erzählung, denn Alex Capus verzichtete mit einer Ausnahme darauf, vorzulesen. Dann sei ja das dünne Büchlein in einer Stunde ausgelesen, meinte er schelmisch. So erzählte er denn ausgewählte Geschichten in Mundart nach und liess es sich nicht nehmen, die eine oder andere tüchtig auszuschmücken und zu erweitern. Eben doch ein «Plaudericheib». Immer wieder kamen dabei die Ursen zu Wort, wenn sich die Nachbarn auf dem Kiesplatz zum Grillieren trafen.
Sogar der Autor selbst kam ins Visier der fünf. Zuerst sein schlecht gewartetes Velo, dann seine Frisur und seine Kleidung und schliesslich die Schreiberei selbst: «Du kleidest dich, nimm’s mir nicht übel, wie ein Blinder. Du ziehst einfach irgendwas an – n’ importe quoi, wie der Franzose sagt. Und deine Schriftstellerei, die du als deine Arbeit bezeichnest …» «Was ist damit?» «Nichts. Eine Art Arbeit wird das schon auch sein, was du so machst», sagte er. «Ich will gar nichts gesagt haben.» «Aber?» «Schon gut», sagte Urs. «War’s das?» «Ja».

«Mein Nachbar Urs» lenkt den Blick liebevoll aufs kleinbürgerliche Milieu mit den Gärtchen, in denen die kleinen Geschichten wachsen, und den Gartenzäunen zum Drüberschauen und entdeckt in diesem allerlei Ungereimtes, Kurioses und gar Philosophisches. Irgendwie kennt man das alles, und doch macht es Spass, es durch die präzise Sprache eines wachen und humorigen Zeitgenossen gespiegelt zu sehen. Ein Vergnügen für einen freien Nachmittag!

Alex Capus: «Mein Nachbar Urs». Carl Hanser Verlag, München, 2014. ISBN 978-3-446-24468-9. In allen Buchhandlungen erhältlich bzw. bestellbar.

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