«Es kann jeden von uns treffen»

Ein Paradigmenwechsel in der Psychiatrie machte einst das Angebot der Stiftung Werkstar erst möglich.

Lukas Hausendorf

Integrative Arbeitsplätze, überhaupt die Möglichkeit, psychisch kranke Menschen in einem normalen Alltagskontext unterzubringen, hätten vor 40 Jahren noch nicht der Normalität entsprochen. Aber es bahnte sich just zu dieser Zeit eine tiefgreifende Veränderung des Psychiatriewesens an, das seine Patienten bis dahin einfach in seinen Grosskrankenhäusern versorgte, teilweise auf Jahrzehnte hinaus. An den Verhältnissen, wie sie auch im Hollywoodklassiker «Einer flog übers Kuckucksnest» dokumentiert sind, wurde Mitte der 1970er-Jahre durch Betroffene, Psychiatriegegner wie auch Fachleute immer mehr Kritik laut, was schliesslich zur Psychiatriereform führte.
Zur Reformbewegung gehörten auch Clio Vischer-Bonnard, Urs Hafner und Dorothea Burri, die 1983, vor 30 Jahren also, den gemeinnützigen Verein Werkstar gründeten, der psychisch beeinträchtigten und erwerbslosen Menschen die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen eröffnete. «Man merkte, dass diese Menschen eine Tagesstruktur und Arbeitsmöglichkeiten brauchten», sagt die heutige Geschäftsführerin der Stiftung Regina Mori.

Schnelle Blüte
Die ersten integrativen Arbeitsplätze schuf der Verein Werkstar in einem Arlesheimer Garten. Davon profitierten nicht nur die Patienten, denen der Verein den Weg zurück ins Leben ebnen wollte, sondern auch Arbeitslose, von denen es damals mitten in der Rezession für Schweizer Verhältnisse viele gab. Bereits ein Jahr später entstand das Mini-Center bei den Zollweiden in Münchenstein, worin ein Kiosk, Papeterie-, Geschenk- und Buchladen sowie eine Holzwerkstatt untergebracht waren.

Das rasche Wachstum bestätigte das Bedürfnis und auch die gesellschaftliche Notwendigkeit betreuter Arbeitsverhältnisse. Es brachte aber auch den Verein an seine Grenzen. «Damals wurde noch alles in ehrenamtlicher Arbeit geführt, mit dieser Entwicklung rechnete man nicht», erzählt Mori. Als Pioniere auf dem Gebiet der Arbeitsintegration konnten sie auch nicht wissen, was auf sie zukommt. Also mussten bald schon Leute für die Betriebsführung und Betreuungsaufgaben angestellt werden. 1987 konnte Werkstar dank einer Kooperation mit einem Allschwiler Recyclingunternehmen zum ersten Mal einen Job in der freien Wirtschaft anbieten.

Allerdings mussten auch Misserfolge verdaut werden. Ein Windelwaschser-vice, damals waren noch nicht alle Windeln Einwegprodukte, konnte nicht wirtschaftlich betrieben werden. Und den Recycling-Job übernahmen 2001 die Maschinen. Zwei Jahre später wurde dann der Umzug nach Arlesheim eingeleitet, wo seit 2004 mit Gastronomie, Schreinerei, Fair-Trade-Laden, Gärtnerei und Administration alles unter fast einem Dach untergebracht ist.

Professionelle Standards
Bei Arbeitsintegration denken wahrscheinlich die wenigsten an Wirtschaftlichkeit. Aber auch bei Werkstar darf sie nicht ausser Acht gelassen werden. «Unsere Betriebe müssen professionelle Qualität bieten und Erträge erwirtschaften», sagt Mori. Denn schliesslich müssen dem Personal, das aus aktuell rund 90 Angestellten und 15 Leitungspersonen besteht, auch Löhne ausgezahlt werden. Die Kosten für das Leitungspersonal übernimmt grösstenteils der Kanton, indem er die sogenannt behindertenbedingten Mehrkosten abgilt. Das Personal, also die betreut Arbeitenden, erwirtschaften ihre Löhne selbst in einem der Werkstar-Betriebe. Dabei sind sie meistens nicht auf ihren angestammten Berufen tätig. Und trotzdem müssen die Dienstleistungen der Betriebe professionellen Standards genügen.

Selbsthilfe im Zentrum
Nicht jeder, der nach einer psychischen Erkrankung eine Stelle bei Werkstar antritt, wird irgendwann wieder ein ganz normales Leben führen. «Einige können wieder in den primären Arbeitsmarkt vermittelt werden, andere benötigen für lange Zeit den geschützten Arbeitsplatz», sagt Mori. Beides muss Platz haben. Werkstar ist nicht dazu da, seine Angestellten auf Biegen und Brechen wieder zu funktionierenden Gliedern der Gesellschaft zu machen. Es ist ein Ort, an dem jene, die gerne arbeiten wollen, sich wieder an ein strukturiertes Leben gewöhnen können. «Wer hier arbeitet, will das von sich aus», betont sie. Und wer arbeitet, findet meist auch aus der sozialen Isolation, in die viele psychisch erkrankte Menschen geraten. Noch immer wird über diese Krankheiten nur wenig gesprochen. «Ein Grossteil unserer Angestellten hatte zuvor ein ganz normales Leben. Es waren erfolgreiche Berufsleute, die dann krank wurden. Das kann jeden treffen», gibt Mori zu bedenken.

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