«Die Frauenbewegung in der Schweiz war sehr stark»

Auch 50 Jahre nach ­Einführung des Frauenstimmrechts sei «Die Göttliche Ordnung» noch nicht überwunden, sagt die Arlesheimerin Sibylle von Heydebrand.

Unterwegs für gleiche Rechte: Sibylle von Heydebrand engagiert sich in der UNO für schutzbedürftige Frauen und Mädchen. Foto: ZVG/Michel Matthey de l’Etang.
Unterwegs für gleiche Rechte: Sibylle von Heydebrand engagiert sich in der UNO für schutzbedürftige Frauen und Mädchen. Foto: ZVG/Michel Matthey de l’Etang.

Sibylle von Heydebrand setzt sich seit Januar 2020 als ständige Repräsentantin der UNO für die Gleichberechtigung von Frauen weltweit ein, seit Anfang dieses Jahres ist sie dort Hauptvertreterin der NGO «International Alliance of Women». 2016 präsidierte die promovierte Juristin den Verein «50 Jahre Frauenstimmrecht Basel-Stadt» und gründete das Projekt «FrauenBasel», eine Art Netzwerktool für engagierte Frauen in der Region. Das «Wochenblatt» hat sich mit Sibylle von Heydebrand über die Geschichte der Frauenbewegung, die Abstimmung 1971 und die Gegenwart unterhalten.

Wochenblatt: 1971 wurde das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt. ­Damit gehört die Schweiz zu den Schlusslichtern in der westlichen Welt. Warum dauerte das so lange?

Sibylle von Heydebrand: Ein Hauptgrund dafür ist «Die Göttliche Ordnung», also die Geschlechterordnung, die Männern und Frauen unterschiedliche Rollen zuteilt. Diese war in der Schweiz sehr beständig. Ein wesentlicher Faktor für das späte Frauenstimmrecht ist zudem das politische System der Schweiz, die Einführung wurde hier nicht von oben nach unten beschlossen. Hier hatte das Volk bei Abstimmungen das letzte Wort – die Gewährung des Frauenstimmrechts bedeutete für die Schweizer Männer also, Macht abzugeben, und zwar mehr als in einer parlamentarischen Demokratie.

Frauenrechtsbewegungen gab es in vielen Ländern weltweit. Wie stand es um diese in der Schweiz?

Die Frauenrechtsbewegung war hierzulande sehr stark und gehörte zu den bestorganisierten in ganz Europa: Bereits 1860 forderten bürgerliche Frauen die zivilrechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung, die Forderung nach politischer Gleichstellung kam später. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war jede fünfte Frau in einem Frauenstimmrechtsverein aktiv, 1968 sogar jede ­vierte. Dem Ja-Votum 1971 gingen rund 70 Abstimmungen auf kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene voraus.

Warum klappte es dann ausgerechnet 1971?

Der politische Wunsch, die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarates (EMRK) zu ratifizieren, gab den nötigen Schub. Die Unterzeichnung der EMRK bedeutete internationalen Respekt für die Schweiz. Dies schien wichtiger, als weiterhin Widerstand gegen das Frauenstimmrecht zu leisten. Zudem hatten Erfahrungen in den Kantonen, die das Frauenstimmrecht bereits eingeführt hatten, gezeigt, dass die Welt deswegen nicht untergeht. An den politischen Kräfteverhältnissen änderte sich dort nämlich nichts und auch der Haushalt wurde von jenen Frauen, die auf kantonaler Ebene bereits abstimmen durften, keineswegs vernachlässigt. Es schien für die Schweizer Männer also durchaus möglich, den Frauen dieses Recht in einem quasi ritterlichen Akt zu gewähren. Die Frauenbefreiungsbewegung von 1968 rüttelte zudem kräftig am traditionellen Rollenverständnis.

Wie steht es heute um die Gleich­berechtigung von Mann und Frau grundsätzlich?

Natürlich hat ein starker gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, viele Diskriminierungen sind beseitigt. «Die Göttliche Ordnung» ist aber noch in den Köpfen drin, insbesondere in der Berufswelt. In der Schweiz liegt der Frauenanteil bei unbezahlter Arbeit bei 62 Prozent, bei der Erwerbsarbeit liegen die Männer mit 64 Prozent vorne. Das hat etwa Auswirkungen auf die Pensionskassenrenten der Frauen, die nur rund die Hälfte jener der Männer ausmachen.

Was können Sie mit Ihrem Engagement in der UNO bewirken?

Als NGO vertreten wir in der UNO die Stimme der Zivilgesellschaft, in unserem Fall jene der Frauen und Mädchen. Es ist wichtig, sich weltweit zu vernetzen und gemeinsam Projekte zu entwickeln. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Unser Ziel – und übrigens auch das Credo der UNO – ist es, niemanden zurückzulassen.

Poetry Slam zum Frauenstimmrecht

car. Am Sonntag, den 6. Juni 2021, von 14 bis 16 Uhr, laden Die Mitte Frauen Basel-Stadt und FrauenBasel zum Event «50 Jahre Frauenstimmrecht. Poetry Slam zu Frauenstimmrecht und Gleichberechtigung» im SUD Basel ein. Die Moderation übernehmen Daniela Dill und Dominik Muheim. Tickets gibt’s online unter: www.FrauenBasel.ch.

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