Ernüchternde Erkenntnis: Wertvolle Briefmarken sind selten
Fachkundige Beratung holen konnten sich beim Briefmarkenverein Birseck alle, die Briefmarken besitzen und sich von ihnen trennen wollten. Meist sind die Wertzeichen sehr viel weniger Wert, als die Besitzer gehofft haben.
Thomas Immoos
Mit schwer beladenen Einkaufstaschen, mit Einkaufswägeli oder mit dem Rucksack kommen sie ins Domzimmer des Gasthofs Mühle in Aesch: Männer und Frauen, die Briefmarken gesammelt haben oder ganze Alben geerbt haben. Der Briefmarkenverein lädt seit Jahren regelmässig zu Informationsveranstaltungen ein, wo sich Interessierte ihre (vermeintlichen) Familienschätze schätzen lassen können. Es sei Zufall, dass der Anlass gleichzeitig mit der Briefmarkenbörse in Basel stattfinde, heisst es.
Werner Rudin, Vorstandsmitglied des Vereins, ist schon lange dabei. Er und seine – ebenfalls meist älteren – Philatelistenkollegen lassen sich am Samstagnachmittag geduldig die Sammlungen zeigen. Mit Lupe und Pinzette «bewaffnet» drehen und wenden sie die vielversprechendsten Einzelstücke. «Die Sammlungen sind aber oft viel weniger Wert, als die Menschen glauben», sagt Rudin. Vor allem für Schweizer Briefmarken ab 1964 gebe es meist nur noch den Frankaturwert. Das gelte auch für die Sondermarken wie Pro Juventute oder Pro Patria. Deshalb sagt Rudin den Besuchern bald: «Seid nicht enttäuscht, wenn es heisst, die Sammlung sei wenig wert.» Manche verweisen auf den Zumstein- oder Müller-Katalog, der aber gemäss Rudin vor allem eine Richtschnur für Händler ist. In der Regel könne man aber höchstens mit zwanzig Prozent des Katalogpreises rechnen.
Gesuchte Experten
«Wo ist der Experte Deutschland?», fragt ein Mann, der ein dickes Album aus seinem Plastiksack hervorholt. Eine Frau hat Briefmarken aus Tschechien oder vielmehr der CSSR. Aber ein entsprechender Fachmann ist nicht zur Stelle. Die Frau erhält eine Adresse eines Experten aus dem Verein.
Aufmerksam begutachten die Experten des Briefmarkenvereins weitere Sammlungen. Einige befinden sich in wertvollen Alben, andere sind in abgegriffene Schulhefte eingeklebt. Manche kommen mit Kanzleicouverts und breiten die darin befindlichen Briefmarken auf dem Tisch aus. «Das ist nur ein kleiner Teil», sagt ein Mann, der mit drei kostbaren Alben vorbeischaut, die davon zeugen, dass sie von einem Liebhaber gefüllt worden sind. Sein Vater sei leidenschaftlicher Sammler gewesen, bestätigt der Mann. Er möchte die Alben nicht einzeln, sondern en bloc verkaufen. Nach der Beratung packt er die Alben ein und sagt, er werde sich noch eine Zweitmeinung einholen.
Eine leicht enttäuschte Frau hat sich soeben von einer deutschen Briefmarke aus dem Jahre 1951 getrennt. Sie hat die «Lübecker Marienkirche» wertvoller eingeschätzt. Auch sie hat den Katalogpreis als Grundlage genommen. Letztlich ist sie aber doch zufrieden, einen kleinen Zustupf an die Haushaltkasse erhalten zu haben. Die andern Briefmarken und Alben, die sie mitgebracht hat, nimmt sie schon gar nicht mehr mit nach Hause.
Der Briefmarkenverein Birseck berät nämlich nicht nur, sondern handelt auch. Bei vielen Marken wisse man, wer daran interessiert sein könnte. «Die Preise seien angemessen. Die Leute erhalten von uns mehr, als sie von einem professionellen Händler erhalten würden», sagt Markus Jenni. Vom Preis zieht der Verein eine Provision von zehn Prozent ein, weit weniger als im professionellen Handel. Der Briefmarkenverein Birseck kann übrigens ein Jubiläum feiern: Ende November feiert er sein fünfzigjähriges Bestehen.