Reizfilterschwäche: Organisiertes Chaos als Therapie

Medizininformatik-Studentin Elena Börlin aus Reinach entwickelt mit ihrem Start-up auf der Basis von Virtual Reality eine Therapie für Personen mit ADHS, AspergerSyndrom oder Migräne.

Start-up-Gründerin: Elena Börlin aus Reinach. Foto: Tobias Gfeller

«Der Einsatz von Virtual-Reality-Brillen, mit denen Menschen mit Autismus-­Spektrum-Störung unter therapeutischer Begleitung üben können, schwierige Alltagssituationen besser zu bewältigen, ist eine wichtige Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten.» Das sagt Ronnie Gundelfinger, ehemaliger Leiter der Fachstelle Autismus an der Psychia­trischen Universitätsklinik Zürich. Die Reinacherin Elena Börlin hat mit ihrem Start-up Sefit ein Produkt geschaffen, das Menschen mit Reizfilterschwäche helfen soll, besser durch den Alltag und im Speziellen durch für sie herausfordernde Situationen zu kommen.

Unter Reizfilterschwäche leiden Menschen mit ADHS, Asperger-Syndrom und Migräne. Es kann aber auch nach Unfällen und Krankheiten mit einem Schädel-Hirn-Trauma oder bei einer Krebstherapie vorkommen. Treffen diese Menschen im öffentlichen Verkehr, in Restaurants, an einem Konzert oder in einem Stadion auf viele optische und akustische Reize, kann dies zu Stress, Überforderung und im schlimmsten Fall zu Panik führen. Bei der mittlerweile 25-jährigen Elena Börlin wurde mit 17 Jahren das Asperger-Syndrom diagnostiziert. «Ich begann mich immer mehr zurückzuziehen und sozial zu isolieren, um diesen Situationen aus dem Weg zu gehen. Dank langjährigem intensivem Training und meinen Freunden ist es mir gelungen, besser damit umzugehen.»

Nach der Lehre zur Informatikerin ­Applikationsentwicklung EFZ bei Endress + Hauser in Reinach und der ­Berufsmatur begann Elena Börlin an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) ein Medizininformatik-Studium. Als sie einen Vortrag hörte, an dem ein Professor vorstellte, wie er mit Virtual Reality – also mit speziellen Brillen, durch die man virtuelle Realitäten sehen kann – Höhenangst und Präsentationsangst bekämpft, kam die Reinacherin auf die Idee, damit Menschen mit Reizfilterschwäche zu helfen. «Die Idee war, in der virtuellen Realität Situationen abzu­spielen, die bei Menschen mit Reizfil­terschwäche Stress auslösen. Mit verschiedenen Schwierigkeitsstufen können Betroffene trainieren.»

Stresssituationen im geschützten Rahmen simulieren

Elena Börlin hat zusammen mir ihrem persönlichen Umfeld – viele davon kennen sich mit der Thematik aus – verschiedene Sequenzen aufgenommen und programmiert, die bei Betroffenen Stress auslösen können. Um verschiedene Stresslevels darzustellen, wurde der Restaurantbesuch in verschiedenen Versionen – mit wenigen Gästen bis hin zur grossen Sause mit Geburtstagsparty, mit spielenden Kindern, Tie-ren, klirrendem Geschirr und viel Geschwätz – nachgespielt. «Das organisierte Chaos», beschreibt Börlin.

Betroffene können unter fachlicher Begleitung diese Schauspieleinlagen in Bild und Ton mit der VR-Brille abspielen. «Es ist in der Praxis nicht möglich, dass Therapeutinnen und Therapeuten mit den Patienten in den Zolli, ans Konzert, an die Fasnacht oder in die Disco gehen. Wir holen diese Situationen im geschützten Rahmen zu den Patienten», erklärt Börlin. Das Projekt entwickelt sich rasant. In den kommenden Monaten entwickelt das Team den Prototyp der Web-Applikation. Danach folgt die Handy-App. In rund einem Jahr soll die erste klinische Studie beginnen. Die Psychiatrie Baselland und die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) haben bereits ihr Interesse bekundet.

Start-up ausgezeichnet

Das vor einem Jahr gegründete Start-up Sefit ist zugleich Börlins Bachelorarbeit. Das Projekt fand derart viel Anklang bei Therapeutinnen und Fachexperten, dass sie kürzlich den ersten Platz beim Start-up-Forum Aargau belegte. An der schweizweit durchgeführten Swiss Innovation Challenge belegte Sefit den zehnten Platz, geschlagen nur von weit fortgeschritteneren Start-ups.

Elena Börlin ist als Softwareentwicklerin an vielen Fronten tätig. Nach der Lehre und der Berufsmatur hat sie sich selbstständig gemacht und bringt mehrheitlich jungen Menschen das Programmieren bei. Während des Studiums hat die Reinacherin zweieinhalb Jahre beim Universitätsspital Basel gearbeitet und dort im Informatikbereich ein kleines Team aufgebaut. Aktuell arbeitet sie bei einer Basler Versicherung und treibt ihr Start­-up voran.

Für mehr Infos: info@sefit.ch

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