Wegen der Corona-Krise werden Gedichte online vorgetragen

Zum fünften Mal feiert neuestheater.ch am Samstag den Unesco-Welttag der Poesie. Aufgrund des Veranstaltungsverbots werden Kurzlesungen zu einem Video zusammengesetzt. Kuratorin Johanna Gerber erklärt die Rolle der Poesie und wie sie sich verändert hat.

Poesie und ihre Bedeutung: Für Kuratorin Johanna Gerber hat Poesie viel mit Freiheit und Frieden zu tun.  Foto: Tobias Gfeller
Poesie und ihre Bedeutung: Für Kuratorin Johanna Gerber hat Poesie viel mit Freiheit und Frieden zu tun. Foto: Tobias Gfeller

Wochenblatt: Frau Gerber, was verstehen Sie genau unter Poesie und was nicht?
Johanna Gerber: Poesie ist für mich eine Freiheit in der Sprache und der Ausdrucksweise, die die Prosa nicht hat. In der Poesie kann ich Gefühle ausdrücken, die verschlüsselt daherkommen können, worin etwas verborgen ist. Der Leser muss sich darauf einlassen, dass er in der Poesie suchen muss, was die Autorin oder der Autor aussagen und ausdrücken will. Es ist nicht eins zu eins eine Geschichte, die man lesen kann und gleich weiss, um was es geht. Beim Poesietag geht es um Freiheit. Das ist der Link, den die Unesco vor 20 Jahren machen wollte, als sie den Welttag der Poesie ins Leben rief. Auch wollte sie ein Zeichen setzen gegen die aufkommenden Kurznachrichten.

Quasi eine Gegenströmung zu Digitalisierung, Kurznachrichtendiensten, sozialen Medien und der abgekürzten Ausdrucksweise der Jugend. Haben Sie das Gefühl, Poesie wird in diesem Zusammenhang sogar immer wichtiger?
Johanna Gerber: Sie wird sicher nicht unwichtiger. Die Jungen schreiben ja auch poetische Texte. Aber sie schreiben sie schon wieder anders als meine Generation. Sie haben die abgekürzte Sprache auch in der Poesie übernommen, versuchen aber genauso zu verschlüsseln. Das Verschlüsseln ist ein ganz zentraler Punkt in der modernen Poesie, dass man seine Botschaft anders rüberbringen kann als in einer Geschichte oder in einem Interview. Poesie kann man richtig entdecken. Sie hat auch etwas Klangliches. Das nützen ja auch die Rapper aus, in dem sie poetische Texte rhythmisieren.

Dann hat sich die Poesie auch verändert?
Johanna Gerber: Ja, teilweise sogar sehr stark. Die Verschlüsselung zum Beispiel war in Zeiten eines Joseph Eichendorff oder Friedrich Schiller noch nicht so da. Auch müssen sich Gedichte heute nicht mehr zwangsläufig reimen. Die moderne Poesie hält sich nicht mehr an frühere Regeln. Es ist fast alles möglich.

Welche Rolle kann dabei der Poesietag spielen?
Johanna Gerber: Da geht es nicht um Stile, sondern vor allem um Inhalte. Es geht darum, eine Idee zu transportieren. Die Idee ist, rund um den Globus am gleichen Tag Gedichte zu lesen und mit diesen Worten, die um die Welt gehen, eine heilende Energie zu kreieren. Stand wie gesagt vor 20 Jahren ein Gegenstück zur Digitalisierung im Zentrum, ist es am Poesietag heute die Botschaft des Friedens, die in die Welt hinausgetragen werden soll. In Gebieten, die unter Waffen stehen, haben die Menschen nicht mehr die Möglichkeit, an Poesie und schöne Sachen zu denken. Wir, die in einem zumeist friedlichen Erdteil leben, müssen die Aufgabe übernehmen, dass wir wieder den Frieden in die Welt hinaustragen. Ich bin überzeugt, dass Poesie da eine Wirkung haben kann.

Kommen wir auf den Poesietag im neuestheater.ch zu sprechen. Was können die Besucherinnen und Besucher auf der Website Besonderes erwarten?
Johanna Gerber: Zum ersten Mal wird auch Musik als Teil der Poesie eine Rolle spielen. Da die Lesungen nun nicht live stattfinden können, laden wir die Menschen ein, sich von den Beiträgen der Videos inspirieren zu lassen und selber Gedichte zu schreiben.

Darf Poesie auch unterhalten und sogar auch lustig sein?
Johanna Gerber: Auf jeden Fall. Der Humor hat absolut Platz am Weltpoesietag. Humor ist etwas Heilendes. Es geht darum, dass die Menschen Freude haben, dass sie loslassen, dass sie leuchten und sie nicht nur Sorgen bedrücken. Es ist sehr willkommen, wenn lustige Texte gelesen werden. Lyrik schreiben, ab der man wirklich lachen muss, ist schwierig.

 

Trotz Virus Poesie verbreiten
Anstelle live im Theater lesen die Autorinnen und Autoren ihre Texte ab 14 Uhr zuhause und bauen so eine Wortbrücke für den Planeten, für Gesunde und Kranke, für alle Menschen, die jetzt aufgerufen sind, solidarisch zusammenzustehen. Zudem werden die Autorinnen und Autoren Kurzfilme produzieren, die zu einem längeren Film zusammengeschnitten werden. Es geht darum, die Ausbreitung des Virus zu verhindern, die Poesie aber zu verbreiten. Alles auf: www.neuestheater.ch

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