Podcast: «Ein Vater und seine verlorenen Töchter»

Die Aescher Journalistin Jeannine Borer hat einen mehrteiligen «True Crime-Podcast» über einen Baselbieter Vater, der seine Töchter seit 25 Jahren nicht mehr gesehen hat, produziert. Heute feiert der Podcast in Aesch Premiere.

Hat mehr als ein Jahr lang recherchiert: die Journalistin und Podcast-Produzentin Jeannine Borer. Foto: Tobias Gfeller

Am Anfang der Geschichte steht ein Tennistrainingslager auf der Insel Elba im Jahr 2017. Die Aescher Journalistin Jeannine Borer, früher eine ambitionierte Tennisspielerin, suchte eine Mitfahrgelegenheit von Basel nach Italien. Der Tennislehrer stellte einen Kontakt zu einem Mann her, der ebenfalls in der Region Basel lebt und am Trainingslager teilnehmen wollte. Gemeinsam fuhren sie nach Italien. Auf der Fahrt erzählte der Mann seine Lebensgeschichte. Und die hat es in sich.

Mit seiner Ex-Frau gründete der Mann vor rund 30 Jahren eine Familie. Doch die zwei Töchter hat er seit rund 25 Jahren nicht mehr gesehen. Die Partnerin warf dem Mann nach der Trennung sexuellen Missbrauch der Töchter vor. Der Vater hatte die Vorwürfe stets abgestritten. «Eine Anklage gab es nie, da nichts Brauchbares gegen ihn vorlag», sagt Jeannine Borer. Zahlreiche psychiatrische und psychologische Gutachten kamen zum selben Schluss. Der Vater versuchte mit seinen Mädchen in Kontakt zu bleiben. Die Mutter ignorierte jedoch jegliche Bemühungen. Über die Monate des Kontaktabbruchs entfremdeten sich die Töchter vom Vater, und nach Jahren, in denen die Eltern nur noch über ihre Anwälte kommunizierten, verschwand die Mutter mit den Töchtern über Nacht spurlos.

Die Geschichte weckte bei Jeannine Borer die journalistische Neugier. Sie begann zu recherchieren. Es stellte sich die Frage: Was ist wirklich geschehen? Geht es um sexuellen Missbrauch durch den Vater oder um emotionalen Missbrauch durch die Mutter? Aus der Recherche entstand der Podcast «Ohn(e)macht – ein Vater und seine verlorenen Töchter». Es ist eine Erzählung im Stile der aktuell sehr beliebten True Crime-Podcasts, in denen wahre Verbrechen und Gerichtsfälle detailliert nacherzählt werden.

28 Stunden Audiomaterial , fünf Bundesordner voller Dokumente

Jeannine Borer, die mittlerweile in Zürich lebt, realisierte schnell, dass der Aufwand für die Recherche ins schier Unermessliche steigen werde. Sie holte sich deshalb Hilfe von ihrem ehemaligen Journalistenkollegen Roland Schnetz. Während über eines Jahrs gingen sie dem Fall nach, sprachen mit Beteiligten von der damaligen Vormundschaftsbehörde (heute KESB), von der Psychiatrie Baselland, wo das Gutachten über die Kinder erstellt wurde, und mit Expertinnen und Experten. «28 Stunden Audiomaterial mit Interviews, fünf Bundesordner an juristischen Dokumenten und zwei Tagebücher des Vaters», beschreibt Jeannine Borer das umfangreiche Quellenstudium. Juristische Hilfe holten sich Borer und Schnetz nicht, obwohl sie selbst kaum juristisches Vorwissen hatten. «Wir haben uns so intensiv mit dem Fall beschäftigt, dass das Wissen durch die Recherche automatisch kam.»

Entstanden sind fünf Episoden, die im Durchschnitt rund 25 Minuten dauern. All die Informationen so aufzuarbeiten, dass die Geschichte auch attraktiv zum Hören sein wird, sei eine der Hausforderungen gewesen, verrät Borer.

Die Aescherin hat schon mehrere Podcasts produziert. «Die Dramaturgie muss bei solchen Formaten stimmen. Darüber haben wir uns sehr viele Gedanken gemacht.» Für Borer, die sich selber als Feministin bezeichnet, war jedoch etwas anderes die Hauptherausforderung: «Das Schwierigste war der Umgang mit dem Missbrauchsvorwurf.» Mit dem Podcast will Jeannine Borer an die schweizweit 13000 Kinder erinnern, die keinen Kontakt zu einem Elternteil haben.

Involvierte nehmen Stellung

Dass derart viele involvierte Personen mit richtigem Namen zum Fall im Podcast Stellung nehmen, ist aussergewöhnlich. Die Protagonisten sind jedoch anonymisiert. Borer musste abklären lassen, ob durch den Podcast Rückschlüsse über die Identität des Vaters, der Mutter und der Töchter gezogen werden könnten. «Nur wer den Fall heute schon kennt, wird wissen, um wen es geht», versichert sie. Die Journalistin macht transparent, dass sie vom Vater für die Recherche bezahlt wurde. Sie liess einen Vertrag unterschreiben, der klarstellt, dass sie unabhängig journalistisch arbeiten würde. Finanzielle Unterstützung erhielt sie auch vom Swisslosfonds Baselland. Die Radio Stiftung Basel hat den Podcast mit dem Förderpreis «Katalysatohr» ausgezeichnet.

Heute Donnerstagabend feiert der Podcast in der Gemeinde- und Schulbibliothek Aesch Premiere. Borer erzählt über die Entstehung, die Hintergründe und die Produktion des Podcasts.

bibliothek.aesch.ch

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