Ein «Hotspot» der Medizintechnik
Die Dichte an Medizintechnik-Unternehmen im Kanton Solothurn ist weltweit einzigartig. Aber warum eigentlich? Antworten darauf liefert der Historiker Viktor Moser.
Die Zahlen sind eindrücklich: 92 Medizintechnik-Unternehmen sind im Kanton angesiedelt; an 33 Standorten mit rund 6200 Beschäftigten produzieren diese hochspezialisierte Produkte. 10 Prozent aller Arbeitsplätze dieser Branche in der Schweiz, so die Erhebung aus dem Jahr 2018, befinden sich im Kanton Solothurn.
«Solothurn ist ein Medtech-Hotspot, der in seiner Dichte einzigartig ist», sagt Viktor Moser, der die Geschichte der Medizintechnik in der Region zwischen Grenchen und Solothurn anhand der vier Firmen Mathys, Synthes, Stryker und Ypsomed analysiert hat. Diese Unternehmen würden in der regionalen Branche einen zentralen Platz einnehmen und viele Zulieferbetriebe beschäftigen. Der 73-jährige Historiker hielt dazu am Montag auf Einladung des Historischen Vereins des Kantons Solothurn einen Vortrag im Kloster Dornach.
Wenn Chirurgen und Handwerker zusammenspannen
Die Erfolgsgeschichte beginnt 1958 mit der Begegnung des Berner Chirurgen Maurice E. Müller und des Mechanikers und Konstrukteurs Robert Mathys aus Bettlach. Müller war fest davon überzeugt, dass Knochenbrüche mit Hilfe von Werkzeugen heilbar seien – und der spätere Firmengründer Mathys war risikobereit genug, ihn mittels der Entwicklung von Prototypen für Schrauben, Platten und Instrumenten zu unterstützen. «Diese personelle Verbindung bildet die Basis einer Geschichte, die sich durch die vier Firmen Mathys, Synthes, Stryker und Ypsomed darstellen lässt», hebt Moser hervor.
Noch im selben Jahr wurde die Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese gegründet, ein Zusammenschluss von Chirurgen, die sich für die operative Behandlung von Knochenbrüchen einsetzten. «Die Zusammenarbeit mit spezialisierten Technikern und Handwerkern drängte sich auf», erklärt Moser. Dieses gemeinsame Arbeiten «auf Augenhöhe», ein Begriff, der Moser in seinem Vortrag mehrfach betont und auch für seinen Buchtitel bewusst gewählt hat, führte zur Entwicklung eines neuen Industriezweigs, der in der Folge einen kometenhaften Aufstieg erlebte.
Innovation, Identifikation und Wertschätzung – auch in Zukunft?
Moser erkennt im Wesentlichen vier Erfolgsfaktoren, die dazu geführt haben, dass sich der Medtech-Cluster gerade im Kanton Solothurn gebildet hat. Die schon lange vorher ansässige Uhrenindustrie habe einen bestimmten «Typus von Facharbeitenden» herausgebracht, der es gewohnt war, extrem genau und hoch konzentriert zu arbeiten. «Hinzu kommt eine Arbeitsweise, die durch hohe Selbstständigkeit geprägt ist.» Gute Voraussetzungen für den Einsatz bei Medizintechnik-Unternehmen, meint Moser.
Ausserdem sei eine intensive Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Handwerkern, «frei von Hierarchien und Standesdünkel», gepflegt worden.
Gute Arbeitsbeziehungen zwischen den Firmengründern wie Robert Mathys und deren Angestellten führten bei Letzteren zu einer hohen Identifikation mit der eigenen Arbeit und der Unternehmung. Ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor sei denn auch die Innovationskraft der Unternehmen im Kanton Solothurn. «Das seit Jahrzehnten regional verankerte Fachwissen ist ein Magnet für neue Betriebe», hält Moser fest. Nur durch die stetige Verbesserung von Produkten und Produktionsprozessen seien die Schweizer Firmen auf dem Weltmarkt heute noch konkurrenzfähig.
Nachdenkliche Tönte stimmte Moser zum Schluss seines Vortrages an, als er einen Ausblick in die Zukunft wagte: «Regulierung, Preis- und Lohndruck nehmen enorm zu. Es wird nicht einfach sein, die Firmen im Kanton Solothurn zu behalten. Solange Innovation und Qualität stimmen, wird es beständig bleiben. Aber wenn das einbricht, dann wird es schwierig.»
Zum Autor
Viktor Moser (73) studierte Geschichte und Soziologie und war zwischen 1974 und 1988 Bildungsverantwortlicher des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Danach arbeitete er während 28 Jahren selbstständig als Fachmann für Schulung, Teamsupervision und Einzelcoaching, unter anderem im Auftrag von Bund, Kantonen und privaten Unternehmen, und war Redaktor einer Fachzeitschrift für Berufsbildung. 2019 schloss Moser einen MAS-Lehrgang für angewandte Geschichte an der Uni Zürich ab. Sein Buch«Chirurgen und Mechaniker auf Augenhöhe» erschien 2021 im Verlag Librum Publishers.