«Aus heutiger Sicht wirken die Ermittlungen dilettantisch»
Michelle Steinbeck hat sich intensiv mit dem Brand des ersten Goetheanums auseinandergesetzt. Aus ihren Recherchen ist ein Hörbuch entstanden.
«Der Goetheanum-Brand ist ein ungelöster, schaurig-spektakulärer Kriminalfall», schreibt Michelle Steinbeck, WOZ-Kolumnistin sowie Autorin des Theaterstücks und Hörbuchs «Chroniken von Dornach – Der zerbrochene Spiegel». Steinbeck muss es wissen, beschäftigte sie sich doch im Auftrag des Arlesheimer Regisseurs Jonas Darvas intensiv mit dem Brand und kämpfte sich im Staatsarchiv Solothurn durch Berge von zeitgenössischem Pressematerial, Polizei- und Feuerwehrberichten, Protokollen von Zeugenbefragungen und anonymen Briefen mit Schuldzuweisungen.
Was bei oberflächlicher Recherche über den Goetheanum-Brand zu lesen sei, weise recht eindeutig auf Brandstiftung hin, meint Steinbeck. «Als ich mich aber intensiver mit dem Material beschäftigte, merkte ich erst, wie in diesem Fall ganz und gar nichts aufgeklärt ist.» Viele Spuren seien bei der Suche nach der Brandursache vernachlässigt oder bald ganz aufgegeben worden.
Haftbefehl trotz Alibi
«Aus heutiger Sicht wirken die Ermittlungen dilettantisch», findet Steinbeck. So sei beispielsweise die Brandstelle nicht gesichert worden, sodass der Tatort nach Belieben manipuliert werden konnte. Angeführt worden seien die Untersuchungen zur Brandursache von Rudolf Steiner, der seine Meinung, dass das Goetheanum von einem Feind der Anthroposophie angezündet worden sei, in Pressemitteilungen, Reden und Interviews verbreitete. Gegen den Hauptverdächtigen Arlesheimer Jakob Ott erliessen die Behörden ohne Weiteres einen Haftbefehl, obwohl der 28-jährige Uhrmacher ein wasserdichtes Alibi hatte. «Es ist bekannt, dass Steiner eine sehr charismatische Figur mit grosser Autorität war, die scheinbar auch den lokalen Behörden imponierte», kommentiert Steinbeck die damaligen Ereignisse. Auch wenn Otts Leiche später am Brandort entdeckt wurde und damit die Behauptung, er sei ins Ausland geflüchtet, entkräftet war, werde in anthroposophischen Kreisen teilweise bis heute nicht anerkannt, dass Ott wahrscheinlich als freiwilliger Helfer bei den Löscharbeiten ums Leben gekommen sei, sagt Steinbeck.
In dem von Regisseur Darvas anlässlich des 100. Jahrestages der Brandnacht nun als Hörbuch veröffentlichten Theaterstück spielt Steinbeck mit dieser verworrenen Beweislage. Vieles dreht sich auch im Hörspiel um Ott, doch bringt Steinbeck auch andere mögliche Erklärungen für den Brand, wie etwa rauchende Eurythmistinnen oder Versicherungsbetrug, ins Spiel.
Kleines Gegengewicht zur Brandtagung des Goetheanums
Das rund einstündige, mit stimmungsvoll-schauriger Musik unterlegte Hörspiel hört sich gut, auch wenn die vorgelesenen Regieanweisungen etwas gewöhnungsbedürftig sind. Es handle sich dabei um den Versuch, ein Theaterstück-Hörbuch zu machen, erklärt Jonas Darvas. Eine abschliessende Antwort auf die Frage nach der Brandursache, so viel sei an dieser Stelle verraten, bietet auch «Der zerbrochene Spiegel» nicht. Steinbeck und Darvas sehen das Stück vielmehr als Gedankenanstoss, um die von Steiner propagierten «Wahrheiten» ins Wanken zu bringen. «Wir finden es wichtig, der grossen Brandtagung des Goetheanums, wo weiterhin kühn und ohne Beweise eine ‹Brandstiftung von aussen› behauptet wird, ein kleines Gegengewicht zu geben.»
Das Hörbuch «Chroniken von Dornach – Der zerbrochene Spiegel» kann auf der Website des Neuen Theaters in Dornach gehört und heruntergeladen werden.