Wenn die Blätter schon im Juli fallen

Der Klimaforscher Oliver Wetter referierte zum Dürrejahr 1540. Dabei spannte er einen Bogen zur heutigen Zeit.

Klimawissenschafter und Historiker: Oliver Wetter ist Fachmann für das Wetter der Vergangenheit. Foto: Caspar Reimer

Geht es ums Klima, erhitzen nicht selten die Gemüter: Während die einen vor dramatischen Folgen eines menschengemachten Klimawandels warnen und dies mittels wissenschaftlicher Daten belegen, winken die anderen ab, sehen darin Panikmache, gar Lüge und verweisen darauf, dass es schon immer Wetter­extreme gegeben habe. Um Aufklärung in dieser Sache bemüht sich das Science Center von Primeo Energie in Münchenstein – mit Erlebnisausstellungen, Workshops oder Vorträgen soll die Bevölkerung für den Themenkomplex Klima und Energie sensibilisiert werden.

Am vergangenen Donnerstag ging es nun um ein Extremereignis, das schon lange zurückliegt. Unter dem Titel «1540 – das Jahr ohne Regen» referierte der Klimawissenschafter, Historiker und Berater Oliver Wetter über ein Jahr, in dem es in Mitteleuropa kaum geregnet haben soll, während im europäischen Russland kühles Regenwetter über Felder und Städte zog. «Zuerst wussten wir nur etwa aufgrund von Chroniken aus jener Zeit, dass es in der Schweiz im Jahr 1540 einen sehr heissen Sommer ge­geben haben musste», so Wetter. Die Forscher der Universität Bern weiteten ihre Untersuchungen auf Europa aus, spannten mit anderen Expertinnen und Experten in verschiedenen Ländern zusammen. Das Resultat: «Über 300 Chroniken aus ganz Europa zeigten ein ähnliches Bild.» Neben den Chroniken nutzten die Forscher etwa auch Spitalrechnungsbücher: «Das Spital war damals eine Mischform von Krankenhaus und Versicherung. Durch dieses Geschäft wurden die Spitäler reich, auch an Ländereien. Aus den Rechnungsbüchern liess sich ablesen, wann bestimmte Ernten stattfanden. Im Vergleich zu anderen Jahren kann man daraus Schlüsse ziehen», so Wetter. Als besonders reiche Quelle gilt den Forschern zudem ein umfangreiches Wettertagebuch des damaligen Rektors der Universität Krakau.

Viehsterben und Brände

In Chroniken wurde berichtet, dass schon im April Bäche, Brunnen und gar Seen teilweise ausgetrocknet seien. Tiere mussten also, um an Wasser zu kommen, weite Wege zurücklegen, was zu Viehsterben, Problemen in der Landwirtschaft und Seuchen führte. Und weil Regen fehlte, konnten die Mühlen nicht mehr mit Wasser betrieben werden.

Berechnungen haben ergeben, dass in jenem Jahr etwa 80 Prozent weniger Niederschlag fielen als in einem Durchschnittsjahr des 20.  Jahrhunderts. Das Blätterfallen setzte schon im Juli ein – es kam zu Bränden in Wäldern und Städten. In einer Chronik, die Wetter an seinem Vortrag zitierte, heisst es etwa: «Das 1540 jaur nampt man den heissen summer. Dann vom hornung (Februar) an bisz uff Andree (30. November) sind all monat so trucken und heisz gsin, (…), dann es in der zit nit über 10 tag gregnet hat.» Die Dürre hatte für die Menschen in Europa weitreichende Konsequenzen: «Es kam etwa zu einer Wasserteuerung, was höchst ungewöhnlich ist», so Wetter. Rund eine Million Menschen sollen – bei einer Einwohnerzahl von 40 Millionen – aufgrund der grassierenden Seuchen in Europa umgekommen sein.

Ausfall des Jetstreams?

Ursache für die Dürre soll ein aussergewöhnlich stabiles Hochdruckgebiet über Mitteleuropa gewesen sein. Wetter vermutet, dass ein Unterbruch des Jetstreams – ein Starkwind, der in acht bis zwölf Kilometern Höhe von Westen nach Osten um den Globus weht – zu diesem Wetterstillstand geführt haben könnte. «Das ist allerdings eine Hypothese, die weiter erforscht werden müsste.»

Der Forscher ging in seinem Vortrag zudem auf die Frage ein, welche Auswirkungen ein solches Ereignis auf die Menschheit heute hätte. Dazu zog er ­einen Vergleich mit dem Hitzesommer 2003 hinzu. Für 1540 errechneten die Forscher bei Gewässern ein Abfluss­defizit von 90 Prozent, 2003 lag es bei 37 Prozent. «Schon 2003 konnten Frachter auf Flüssen nur noch 30 bis 40 Prozent der üblichen Fracht laden. Eine Dürre wie 1540 hätte also auch heute massive Auswirkungen.»

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