Auf dem Weg zu mehr Inklusion
Münchenstein hat ein Reglement zur Umsetzung des kantonalen Behindertenrechtegesetzes. Das Pilotprojekt soll als Vorlage für andere Gemeinden dienen.
Seit dem 1. Januar 2024 ist das neue Behindertenrechtegesetz (BRG BL) des Kantons Baselland in Kraft. Es definiert die Grundsätze der Behindertenrechte und berücksichtigt dabei auch die Verhältnismässigkeit sowie den Interessensausgleich zwischen Privaten, Öffentlichkeit und Behindertengleichstellung.
Auch die Gemeinden sind bei der Umsetzung des BRG BL gefordert. Münchenstein hat nun im Rahmen eines Pilotprojekts als erste Gemeinde zusammen mit dem Kanton ein Reglement zur Umsetzung des Gesetzes auf Gemeindeebene formuliert. Begleitet wurde das Projekt von Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Basel und Mitglied des UNO-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. «Die Zusammenarbeit mit der Uni Basel besteht schon länger, weil die juristische Fakultät dereinst auf Münchensteiner Boden stehen wird», erklärt Stefan Friedli, Geschäftsleiter der Gemeindeverwaltung Münchenstein. Auch die guten Beziehungen zur Fakultät hätten dazu geführt, dass Münchenstein für das Pilotprojekt angefragt worden sei.
«Wir haben die Gemeinde als sehr offen und konstruktiv erlebt», sagt Jennifer Bohler, Mitarbeiterin beim Amt für Kind, Jugend und Behindertenangebote Baselland. Sie war Mitglied der Arbeitsgruppe, die zur Erarbeitung des Reglements eingesetzt wurde. Zusammen hätte das Gremium die Schwerpunkte erarbeitet und dabei beurteilt, welche Bedürfnisse es in der Gemeinde vorrangig abzudecken gelte. «Das kann von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sein, es müssen die unterschiedlichen Lebensbereiche geprüft und Massnahmen priorisiert werden.»
Benachteiligungen verringern oder verhindern
Konkret geht es im Reglement darum, Benachteiligungen von Menschen mit einer Behinderung zu verhindern oder zumindest zu verringern und ihnen einen einfacheren Zugang zu Leistungen der Gemeinde zu ermöglichen. Darunter fallen zum Beispiel der barrierefreie Zugang zu Gebäuden oder die Einrichtung einer Induktionsschlaufe, damit auch Menschen mit Hörbeeinträchtigungen an Veranstaltungen teilnehmen können (das Kuspo hat dies bereits). Friedli hält fest, dass die Gemeinde schon viele Barrieren abgebaut habe – so seien beispielsweise die meisten Bushaltestellen auf den Gemeindestrassen behindertengerecht umgebaut worden.
Neu soll eine kommunale Behindertenkommission eingesetzt werden. Sie wird aus Mitgliedern des Gemeinderates, Menschen mit Behinderungen und Fachpersonen aus Organisationen bestehen und den Gemeinderat beraten.
Leichter Lesen mit «Leichter Sprache»
Ein weiterer Baustein in der Gleichberechtigungsthematik ist die Einführung der sogenannten Leichten Sprache – dabei werden komplexe Texte in einzelne einfachere Sätze übersetzt und Fremdwörter oder Begrifflichkeiten erklärt. Weil die Leichte Sprache klaren Regeln folgt, hat die Gemeinde einen ersten Text mit Conceptera erarbeitet. Die Beratungsfirma von Sonja Gross hat sich auf Leichte Sprache spezialisiert und berät die Gemeinde auch künftig in der Umsetzung. «Das Ziel ist, dass die Texte von vielen Menschen verstanden werden. Studien zeigen, dass komplexe Texte, wie sie Verwaltungen oft veröffentlichen, nur von wenigen verstanden werden», so Gross. Das Sprachniveau der Bevölkerung läge in der Regel zwischen B1 und B2 – das Niveauband reicht von A1 (tiefstes Niveau) bis C2 (höchstes Niveau). Behörden, so die Erhebung, kommunizierten in der Regel auf dem Niveau C1, was nur ein kleiner Teil der Bevölkerung vollumfänglich verstehe.
Zugegeben, die Texte in Leichter Sprache muten zuweilen etwas seltsam an. «Kritische Stimmen behaupten, unsere Sprache werde verhunzt, das Bildungsniveau sinke. Doch das Angebot ist zusätzlich und ist nur für jene gedacht, die es auch benötigen. Es ist so, wie wenn jemand eine Brille braucht, um sehen zu können, oder einen Rollstuhl, um sich fortbewegen zu können – ein Hilfsmittel», so Gross. Die Umsetzung der Leichten Sprache soll in Münchenstein entweder intern oder durch den Miteinbezug von Fachleuten geschehen, so Friedli. «Der Pioniergeist dieses Projekts motiviert uns», sagt auch Simon Eglin, Mitarbeitender der Kommunikation bei der Gemeinde Münchenstein.
Die Beratungen und die zusätzlichen Sitzungen kosten die Gemeinde selbstredend Geld. Sie schätzt die Kosten pro Jahr auf 25000 Franken.
Über das Reglement wird die Gemeindeversammlung am 18. März entscheiden. Sollte sie ein Nein beschliessen, ist das Thema jedoch nicht vom Tisch. «Wir sind verpflichtet, ein solches Reglement zu verfassen. Bei einer Ablehnung würde der Prozess noch einmal aufgenommen», so Friedli.