So haben sich die Dornacher wach gekesselt

Ein weiss gewandetes Grüppchen hat am Schmutzigen Donnschtig den Fasnachtsgeist in Dornach lautstark dröhnend begrüsst. Der Report von der «Chesslete».

Je lauter, desto «Chesslete»: Am frühen Morgen des Schmutzigen Donnerstags wird ganz Dornach aus den Federn geschüttelt. Die Fasnacht beginnt. Foto: Roland Schmid

Um Punkt fünf Uhr morgens erschallt vor dem Schulhaus in Dornach ein spontanes Geburtstagsständchen: Unter den Chesslerinnen und Chesslern ist ein Geburtstagskind, und so beginnt der lärmige Fasnachtsbrauch ungewöhnlich wohlklingend. Doch das ändert sich rasch. Direkt im Anschluss marschiert die kleine Truppe los, die sich noch vor dem Morgengrauen im Nieselregen eingefunden hat, und drischt auf die mitgebrachten Instrumente und umfunktionierten Küchenutensilien ein: Kochtöpfe, die teils grösser sind als die Köpfe der Kinder, werden mit Löffeln traktiert, Pfannendeckel werden aufeinandergeschlagen, Rätschen rasseln, Tröten dröhnen, und Glocken untermalen die Kakofonie.

Die Tradition, mit der Chesslete am Schmutzigen Donnerstag die Fasnacht zu begrüssen, gibt es in der Stadt Solothurn seit Ende des 19. Jahrhunderts in dieser Form. Doch nicht nur im Kantonshauptort dröhnt, rasselt und bimmelt es. In einer Vielzahl Gemeinden im Kanton Solothurn lärmen Fasnächtler in weissen Nachthemden, Zipfelmützen und traditionell mit rotem Halsband durch die Orte. Gemäss dem Schweizerischen Idiotikon bedeutet Chesslete unter anderem «Getöse, Lärm, Rumor». Die Bezeichnung geht wohl auf den «Chessel» zurück, mit dem ursprünglich am Schmutzigen Donnerstag Radau gemacht wurde.

Schuld sind die Lehrerinnen und Lehrer. Nach Dornach fand das Brauchtum vor rund 50 Jahren durch jene, die «ännet des Passwang» das Lehrerseminar besuchten und dort der «Chesslete» begegneten, erläutert René Umher, Zunftmeister der Magdalenen-Zunft Dornach.

Anfangs war der Brauch gemäss Umher ein von der Lehrerschaft organi­sierter «klassischer Schulanlass». Als ­jedoch bei den nachrückenden Lehre­rinnen und Lehrern in Dornach das Interesse schwand, übernahm um die Jahrtausendwende die Magdalenen-Zunft die Organisation. Seither ziehe der Anlass Interessierte verschiedener Generationen an. Umher sagt, in den letzten zwei Jahren hätten jeweils um die 70 Personen teilgenommen. Mit der Zahl von «nur» 35 Chesslerinnen und Chesslern – primär Kinder und Zunftmitglieder – zeigt sich Umher dieses Jahr nicht so ganz zufrieden.

Das Publikum am Fenster motiviert

Die Chesslerinnen und Chessler haben sich in weisse Plastikpelerinen vom Detailhändler gehüllt, Hemdblusen von Papa übergezogen, die den Kindern bis über die Knie reichen, oder sich Leintücher übergeworfen. Im fahlen Licht vertreibt der weiss leuchtende Geisterspuk den Winter und weckt die Dornacher für die Fasnacht. Ansonsten ist um diese Uhrzeit einzig der Postbote unterwegs. Die Gruppe aktiviert beim Vorbeigehen einen Bewegungssensor nach dem anderen, sodass die Lichter an Garagen und über Haustüren erleuchten. Nur die wenigsten Dornacherinnen und Dornacher lassen sich vom Chesseln ans Fenster ziehen. Eine Handvoll ist hinter Vorhängen, auf Balkonen mit glimmenden Zigaretten oder mit dem Handy am Filmen auszumachen. Die Zuschauenden wirken dafür wie Motivatoren für die Chessler: Wird jemand erspäht, scheppert und trommelt es gleich umso lauter.

Einige der Kinder schreien, kreischen und rufen – die Stimme ist schliesslich auch ein Instrument. Sobald das kakofonische Grundlärmen zu verstummen droht, verstärkt wie automatisch eine Pfannentrommlerin, ein Tröter oder ein Rufer die Anstrengungen und spornt dadurch die Truppe wieder an. Ein paar Knaben nutzen die Gelegenheit und nehmen all ihren Mut für ein paar Klingelstreiche zusammen.

Eine Tradition, die weiterleben soll

Dröhnendes Lärmen an einem Donnerstag im Morgengrauen – das dürfte wohl nicht allen gefallen. Für den Vorwurf der Lärmbelästigung hat René Umher keinerlei Verständnis: «Es geht ja genau darum, dadurch den Winter zu vertreiben.» Solange in Dornach daran Interesse bestehe, werde die Zunft die Tradition weiterführen. «Die Schweiz lebt von Traditionen und Brauchtümern, und diese müssen wir pflegen», sagt Umher. Es ist dies ein zentrales Anliegen der Magdalenen-Zunft. Negative Erfahrungen wegen des Lärms seien ihm in Dornach nicht bekannt.

Gegen 6 Uhr nimmt die Intensität des Grundrauschens langsam ab, punktuell ragen Tuten und Glockenbimmeln heraus, das Trommeln ist dem Plaudern gewichen. Auf den Strassen ist langsam der frühmorgendliche Berufsverkehr angefahren. Als das Ziel ins Blickfeld kommt, verstauen einige auf direktem Weg in den parkierten Autos ihre Instrumente und streifen die weissen Gewänder über die Köpfe. Andere hingegen bekommen gar nicht genug und setzen zum grossen ­Finale an. Doch die Wärme und die ­Aussicht auf Cola, Schoggiweggli, Chäschüechli und Wein lassen die Chessler dann doch alle in die Turnhalle strömen; die diesjährige Fasnacht ist in Dornach angekommen.

Weitere Artikel zu «Dornach/Gempen/Hochwald», die sie interessieren könnten

Kampf um die Sitze beginnt
Dornach/Gempen/Hochwald05.03.2025

Kampf um die Sitze beginnt

Grüne und SP spannen mit Urs Kilcher zusammen. Und bei den Bür­gerlichen kommt es nun doch zu einer Listen­verbindung.
Dornach/Gempen/Hochwald05.03.2025

Getier im Gänsemarsch

Die Dornacher Kinder­fasnacht machte den grauen Schmudo-Morgen fröhlich-bunt.
Dornach/Gempen/Hochwald05.03.2025

Lokalmatadore schränzen neben Gästen von nah und fern

Impressionen vom Dornacher Schmudo