Durchs Labyrinth der Zeichen wandern

Im Goetheanum läuft derzeit die Ausstellung «Wort wird Bild, bleibt Wort im Bild», eine Retrospektive auf das bildnerische wie literarische Werk der Arlesheimer Künstlerin Barbara Groher. Ein Besuch lohnt sich.

Barbara Groher: vor ihrem zentralen Werk «Mnemosyne». Foto: Thomas Brunnschweiler
Barbara Groher: vor ihrem zentralen Werk «Mnemosyne». Foto: Thomas Brunnschweiler

Die Künstlerin zeigt zuerst ein Readymade aus einem Spazierstock und einem blauen Kreis. «Es geht aufwärts» heisst es beim Werk unterhalb der Treppe. Unsinn oder Symbol? Der Stock verweist auf das Motiv des Wanderns, auf den vielgewanderten Odysseus. Der blaue Kreis ist vielleicht ein versteckter Hinweis auf die blaue Blume als dem zentralen Symbol der Romantik. Sie steht für die Sehnsucht nach dem Unendlichen und ist ebenfalls ein Symbol der Wanderschaft. Hier treffen sich Odysseus und Novalis, der schreibt: «Wo gehen wir denn hin? – Immer nach Hause.» Der Weg führt uns in den Musen-Korridor.

Am Beginn befindet sich «Mnemosyne», Göttin der Erinnerung und Mutter der neun Musen. Die Wiedererinnerung spielt auch eine grosse Rolle in der Odyssee von Homer. Dieses Epos ist die Urerzählung eines Mannes, der nicht nur leidend wandert, sondern auch leidend erinnert. Erinnerung ist zwangsläufig mit Seelenschmerz verbunden. So sind alle Künste nicht nur zur Weitergabe des Schönen und Guten da, sondern auch des Schmerzlichen. Von dem «Gesetz der Schmerz-Erneuerung durch Abbildung und Erzählung» schreibt der Philosoph Peter Sloterdijk. Wo die Erinnerung stirbt, stirbt mit ihr die Kultur.

Hermes als Wegbegleiter

In Barbara Grohers Werk spielt das «Immer-nach-Hause», die Sehnsucht nach dem Absoluten, nach dem Urgrund des Seins, eine tragende Rolle. Es ist nicht verwunderlich, dass für die Künstlerin auch die Gestalt des Hermes Trismegistos (der dreimal grösste Hermes) eine Rolle spielt. Die diesem zugeschriebenen hermetischen, also vieldeutigen Schriften mit im Verborgenen liegenden Inhalten sollen alle Geheimnisse der kosmischen Zusammenhänge enthalten. Der Götterbote Hermes ist Schutzgott der Reisenden, der Kaufleute und Hirten, andererseits auch der Gott der Diebe und der Redekunst. Er ist zuständig für die Kommunikation getrennter Bereiche. Odysseus erfährt von Hermes Hilfe bei Circe, damit er seine labyrinthische Reise nach Hause weiterführen kann. Für Barbara Groher ist der Mensch also auf dieses Hermetische angewiesen, um bei sich selbst zu Hause anzukommen.

Ich, Sein und Sprache

Die Arbeiten der Künstlerin sind filigran, fragil, zart, leicht und elegant. Barbara Groher gibt sich mit absichtsloser Achtsamkeit in ihre Wortbilder und Bildworte. In einem der Seitenräume sind die Bücher einzusehen, die Groher im Laufe der Jahrzehnte geschrieben und gestaltet hat. Es ist eine beachtliche Sammlung, die den enormen Elan dieser Künstlerin spiegelt. Ein Seitenraum ist dominiert von der «Ich»-Pyramide, in der sich das «Ich» auflöst, zerstückelt und durcheinandergewirbelt wird. Eine Installation mit vier Bildschirmen und Kopfhörern lädt zu kleinen Abstechern ein. Auf ­einem Spiegel wird das «Ich»-Thema spielerisch aufgegriffen. Das erste grosse Werk, das Barbara Groher geschaffen hat, ist der prominent gehängte Johannes-Prolog: «Am Anfang war das Wort», eine Partitur der uranfänglichen Weisheit. Der Philosoph Heidegger schrieb: «Die Sprache ist das Haus des Seins.» Barbara Groher hat diesen Satz gestaltend und schreibend eingelöst. Sie bietet nach Absprache Führungen an. Diese Möglichkeit sollte man nicht verpassen.

«Wort wird Bild, bleibt Wort im Bild», Goetheanum, 1. Stock, täglich bis 14. November, Zeiten: www.goetheanum.org.

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