Vor diesem Mann zittern die Parteibosse
Sein Blog «arlesheimreloaded» ist die Pflichtlektüre für alle Animaux politiques der Region. Manfred Messmer schrieb schon für manchen Wahlkampf das Drehbuch. Seine bissigen Kommentare werden jetzt vom Staatsarchiv aufbewahrt.
Lukas Hausendorf
Für eine Schar von rund 1000 Politinteressierten aus der Region gehört die morgendliche Lektüre von «arlesheimreloaded» zur täglichen Routine. Für Politiker und Journalisten ist Manfred Messmers Weblog ein «must read». Er ist das grösste Ärgernis im Vorzimmer des Baselbieter Landratsaals und bringt Parteipräsidenten regelmässig zur Weissglut. Mit der Baselbieter Regierung geht der 65-jährige Arlesheimer Kommunikationsprofi so hart ins Gericht wie kein anderer. «Frau Pegoraro ist nicht mehr zu halten» titelte er, nachdem die freisinnige Baudirektorin laut Messmer mit ihrem Salina-Raurica-Flop die Wirtschaftsoffensive an die Wand gefahren hatte. Der erfahrene Spezialist für strategische Kommunikation hat einige politische Mandate betreut und auch lange Jahre als Journalist gearbeitet. Er kennt genug Leute und weiss, wie man im Gespräch bleibt.
Zuletzt forderte er Gesundheits- und Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber (SVP) auf, seinen erfolglosen Wirtschaftsförderer Thomas de Courten zu entlassen. Oft sind Messmers Artikel angereichert mit Insider-Informationen. Seine bissigen Betrachtungen zum politischen Zeitgeschehen sind ein kurzweiliges Kontrastprogramm zu der gemässigten Tonalität offizieller Zeitdokumente und gehen nun in die Geschichte ein. Als möglicherweise erstes Weblog der Schweiz wird er seit ein paar Monaten vom Staatsarchiv Baselland für die Ewigkeit gespeichert.
Das kritische Gedächtnis des Kantons
Das ist überraschend. Für viele ist das Staatsarchiv eine verstaubte Institution, die sämtliche amtlichen Dokumente des Kantons vor dem Verfall zu bewahren versucht. «Der Staatsauftrag, das Gedächtnis des Kantons zu pflegen, geht aber über das Offizielle hinaus», sagt Regula Nebiker, Leiterin des Staatsarchivs. Die Digitalisierung hat bei ihr längst Einzug gehalten. Schon seit längerem wird die Website des Kantons archiviert. «Warum also nicht auch ein Weblog?», fragten wir uns. Aber erst nachdem Messmer bei Nebiker angeklopft hatte.
«Mein Blog hat eine gewisse Relevanz», ist er überzeugt. Als Blogger der ersten Stunde ist er schon lange der Überzeugung, dass elektronische Medien auch archiviert werden müssen. Allzu viele Hoffnungen machte er sich bei seiner Anfrage in Liestal aber nicht. «Ich dachte, von denen höre ich nie wieder etwas.» Verstaubtes Image eben. Eine halbe Stunde später die überraschende Rückmeldung Nebikers. «Wir suchen auch komplementäre Quellen, wie private Archive. Das Kriterium für uns ist, dass sie das gesellschaftliche und politische Leben des Kantons abbilden», erklärt sie. Das macht der freche Arlesheimer Blogger zweifellos, und zwar mit beispielloser Ausdauer und in hoher Kadenz. Kein anderer setzt sich in der digitalen Agora praktisch täglich mit dem politischen Zeitgeschehen im Kanton auseinander. Vom Kanton zum Zeitdokument erhoben, liefert er für künftige Generationen von Historikern einen erfrischenden Kontrast zur offiziellen Chronik der Ereignisse.
Die Herausforderung der Gegenwart
Die Digitalisierung hat die Archive dieser Welt vor die grösste Herausforderung der Gegenwart gestellt. Die Langzeitspeicherung von Bits und Bytes ist komplexer als gemeinhin angenommen wird. Allein schon der rasche Wechsel der digitalen Speichermedien liefert einen Hinweis darauf, dass im Computerzeitalter viele Errungenschaften flüchtig sind. Genauso verhält es sich mit den Daten.
Daran hat man anfangs nicht gedacht. Zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren sind darum ungeheure Mengen an Daten unwiederbringlich verloren gegangen. Man spricht in diesem Zusammenhang von «Digital Dark Ages». Viele Archive, auch das Staatsarchiv in Liestal, setzen zurzeit auf das Prinzip Migration. Dabei werden die Daten stets auf neue Datenträger überspielt, sobald eine Technik veraltet. Dabei muss aber auch darauf geachtet werden, dass die Lesbarkeit der Daten erhalten bleibt, also standardisierte Formate gewählt werden, die auch in Zukunft decodiert werden können. Die Verwaltungskosten für die Langzeitarchivierung eines Terrabytes werden auf rund 1000 Franken pro Jahr geschätzt.