Mittlerer Osten vor düsterer Zukunft

Ein Zeitfenster von sechs Monaten steht für Ulrich Tilgner bis zu einem Krieg im Iran noch offen. Nach Irak und Afghanistan werde der Westen auch im Iran scheitern.

Nahost-Experte und Gesicht des Mittleren Ostens: Ulrich Tilgner sprach zur «Spur des Scheiterns – westliche Interventionen im Orient». Foto: thomas Brunnschweiler
Nahost-Experte und Gesicht des Mittleren Ostens: Ulrich Tilgner sprach zur «Spur des Scheiterns – westliche Interventionen im Orient». Foto: thomas Brunnschweiler

Thomas Brunnschweiler

Das Kirchgemeindehaus war gerammelt voll, als Nahost-Experte Tilgner die Bühne betrat. Kathi Jungen, Leiterin der Bibliothek, die den Anlass initiiert hatte, begrüsste den «Brückenbauer am Abgrund der Welt», der für einen echten Dialog der Kulturen eintrete. Ulrich Tilgner vermochte das Publikum während zweier Stunden mit brillanter Rhetorik, profunder Sachkenntnis und spürbarer emotionaler Beteiligung zu fesseln. Er ging nicht nur auf die Inszenierungen der Amerikaner im Irakkrieg ein, sondern auch auf deren systematische Isolierung des Irans seit 1979, das Scheitern in Afghanistan und die Rolle Israels.

Eskalation unvermeidlich
Obwohl Israel bereits 2006 behauptet habe, Iran werde binnen Monaten die Atombombe besitzen, habe sich an der Situation bis heute nichts geändert. In den Vereinigten Staaten würde das Volk auf einen Krieg gegen die «Atommacht» Iran eingestimmt, obwohl der CIA bereits 2003 erklärt habe, Iran habe die Entwicklung der Bombe eingestellt. Tilgner findet es fahrlässig, dass eine permanente Hysterie erzeugt wird, ohne dass man Beweise für Angriffspläne des Irans habe. Überdies habe der Iran noch nie einen Angriffskrieg geführt.

 Die Gefahr für den Weltfrieden bestehe darin, dass der Westen den Kriegsgrund immer weiter nach hinten verschiebe. Heute sei bereits die Fähigkeit, eine Bombe zu bauen, ein Angriffsgrund. «Dabei ist nichts von dem verboten, was die Iraner machen», so Tilgner. Auch seien die seit 32 Jahren dauernden Sanktionen gegen den Iran wirkungslos, weil die Regierung eher davon profitiere. Dabei konnte sich Tilgner auch einen Seitenhieb gegen die Schweiz nicht verkneifen, welche die Sanktionen der EU mitträgt. 

Die Bevölkerung im Iran verstehe im Grunde nicht, was international passiere. Als Chatami, der reformorientierte Präsident, Dialogbereitschaft gezeigt habe, sei er im Westen auf taube Ohren gestossen. So sei es nicht verwunderlich, dass die Iraner wieder auf einen starken Mann wie Ahmadinedschad gesetzt hätten. Tilgner betonte jedoch, dass dieser heute eine «politische Halbleiche» sei. Staatsführer Ali Chamenei werde im Atomstreit nur dann nachgeben, wenn die Chinesen massiv Druck machten. «Die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs ist hoch», sagte Tilgner, «und die Wahrscheinlichkeit, dass die Kriegsziele nicht erreicht werden, ist übergross.»

Unbestechliche Analysen

Tilgner kritisierte nicht nur den unsensiblen Umgang des Westens mit den Interessen der Menschen vor Ort, sondern auch den Zynismus einer auf Machterhalt ausgerichteten Politik. Er machte darauf aufmerksam, dass in Libyen seit der Revolution 35 000 Menschen umgebracht worden seien. Dies blende man aus, ebenso wie die autokratische Ideologie Saudi-Arabiens, das an Demokratie im Nahen Osten kein Interesse habe. Angesprochen auf die antiisraelische Rhetorik des Irans, scheute sich Tilgner auch nicht vor Kritik an Israel. Der Nahost-Experte ist in keinem Falle bereit, Menschenleben einem ideologischen Kalkül zu opfern. Dies hinterlässt insgesamt den Eindruck eines unabhängigen und unbestechlichen Journalisten, dem es letztlich um das einzelne Menschenschicksal geht.

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