«Ein Leben ist ein Leben und es gilt, das ist alles»

Mit «Nie mehr Frühling» hat Petra Hofmann aus Rodersdorf ihren ersten Roman vorgelegt. Hofmann erzählt darin die Geschichte einer tragischen Liebe und eines ebensolchen Lebens. Das «Wochenblatt» hat mit der Autorin gesprochen.

Ihr Erstling hat richtig eingeschlagen: Petra Hofmann. Foto: Edmondo Savoldelli
Ihr Erstling hat richtig eingeschlagen: Petra Hofmann. Foto: Edmondo Savoldelli

Frau Hofmann, Sie haben im Literaturhaus in Basel Ihren ersten Roman vorstellen können und am vorletzten Samstag an den Solothurner Literaturtagen eine Lesung gehabt. Wie geht es Ihnen dabei? Wie ist die Resonanz auf Ihr Buch?

Viele Jahre sass ich alleine mit dem Text in meiner Schreibklause, jetzt bekommt er auf einmal viel Aufmerksamkeit, wird gehört, gelesen, diskutiert, und dadurch erst richtig lebendig. Das freut mich sehr für ihn.

Eine Frau mit offensichtlich pathologischen Zügen vor, während und nach dem letzten Weltkrieg: Warum ist dieser Stoff für Sie so wichtig geworden, dass Sie darüber ein Buch schreiben wollten?

Ich stand als Kind mit meinem Vater in unserem Dorf in Deutschland vor dem Kriegerdenkmal mit all den Namen und Zahlen, die da untereinander hinein gemeisselt sind; lauter Namen, zu denen es keine Gräber gibt. Und es gab diese merkwürdige Frau, die während des Gottesdienstes um den Altar ging und vor sich hin brummelte. Ihr Mann sei im Krieg gefallen, erzählte man mir. Ich verstand damals die Zusammenhänge nicht, spürte aber das Unheil, das nicht benannt wurde und das natürlich auch ich nicht benennen konnte. Das hat mich beschäftigt bis heute. Mir ist dabei deutlich geworden, dass dieser Krieg zwar vorbei ist, dass er aber im Inneren der Menschen deutliche Spuren hinterlassen hat und zwar über die Kriegsgeneration hinaus. Im Vordergrund des Textes steht für mich nicht Hermines Pathologie, sondern die Frage, wie es zu einer solchen Entwicklung eines Menschenlebens kommen kann, wie es möglich ist, dass sich die Katastrophe unentrinnbar immer mehr in ein Leben hineinschraubt und schlussendlich fest sitzt. Es gab ja im Dorf viele Frauen, deren Männer im Krieg gefallen waren und die dann nicht wieder geheiratet haben. Es sah so aus, als trügen sie ihr Schicksal ganz selbstverständlich. Ich habe mir überlegt, wie ein Mensch wohl disponiert sein muss, um all diese Zumutungen zu ertragen – oder eben auch nicht zu ertragen. Und so entstand Hermines Geschichte.

Das Leben Ihrer Hauptfigur Hermine ist gescheitert. So erlebt es einer ihrer Söhne. Sehen Sie noch andere Aspekte in Hermines Tragik?

Hermine ist zunächst eine eigensinnige, junge Frau, die die Regeln und Einschränkungen des dörflichen Kollektivs nicht so ohne weiteres übernehmen kann; sie will nach ihren eigenen Gesetzen leben, sich selbst sein. Dadurch gerät sie an den Rand der dörflichen Gemeinschaft, findet aber Karl, mit dem sie eine innige Beziehung leben kann. Individuation und zwischenmenschliche Verbindung sind ja menschliche Grundbedürfnisse und damit ein Menschenrecht. Beides ist für Hermine innerhalb der Dorfgemeinschaft nicht möglich und deshalb ist ihre Beziehung zu Karl lebenswichtig. Als sie schliesslich die Nachricht von seinem Tod erhält, muss sie diese ignorieren, sie muss daran festhalten, dass ihr Mann eines Tages zurückkehren wird. Diese Illusion ist das Einzige, was ihr noch bleibt. Und doch ist es ein Leben, das gilt und anerkannt werden muss. Wir müssen ja alle mit Defiziten zurechtkommen; ein perfektes Leben im beständigen Superlativ gibt es nicht. Und es kann nicht sein, dass Einschränkungen oder Scheitern ein Massstab sind für das Gewicht eines Lebens. «Ein Leben ist ein Leben und es gilt, das ist alles», sagt Paul, ihr anderer Sohn.

Der Leser lernt die Hauptfigur nicht direkt kennen. Er erfährt nur über Beobachtungen, Schilderungen und Begegnungen Dritter (der Schwester, der Nachbarin oder der Söhne) etwas über ihr Wesen. Was ist der Grund für diese ungewöhnliche Erzählweise?

Ich halte es grundsätzlich für unmöglich, zu wissen, wie ein anderer Mensch sich von innen anfühlt. Man kann sich das vorstellen, aber ob es zutrifft, bleibt fraglich; deshalb bleibt einem der Andere auch immer ein Stück weit fremd und unverständlich. Man könnte sagen, ein jeder Mensch hat ein Geheimnis in sich, das unberührbar ist. In die Menschen um Hermine herum kann ich mich eher hineindenken, bei Hermine selbst ist mir das nicht möglich; ich kann aber versuchen, eine Erklärung zu finden für das, was sich mir von ihr zeigt, kann versuchen nachzuvollziehen, wie sie in diese Situation gekommen ist. Und gerade, wenn die Sichtweise des Menschen, um den es geht, nicht zugänglich ist, wird er leicht zum Objekt, das beurteilt oder gar verurteilt wird. Diese Gefahr besteht ja auch gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Und Hermine wird ihren Mitmenschen immer unbegreiflicher, je weiter die Geschichte fortschreitet; es entwickelt sich ein immer deutlicherer Kontrast zwischen ihr und den Menschen im Dorf, die sich in ihrem neuen Alltag nach dem Krieg einzurichten versuchen, so gut es eben geht, während Hermine zunehmend starrer wird. Damit wird die Herausforderung für ihre Umwelt, mit ihr umzugehen, auch immer grösser.

Mir erscheint der Aufbau der Geschichte sehr szenisch zu sein; bühnenmässig oder gar filmisch – mit einer Stimmung, welche an die Neue Sachlichkeit erinnert. Können Sie das bestätigen?

Ja. Mir geht es darum, etwas darzustellen, etwas zu zeigen. Nichts anderes. Ich möchte nicht kommentieren und schon gar nicht werten.

Denken Sie schon an ein neues Buch, einen neuen Roman?

Ich habe immer ein paar Kohlen im Feuer.

 

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