Von Terroristen, Folterern und Schleppern – mitten in Arlesheim

Im Rahmen von zwei Projekttagen führte die Schweizerische Flüchtlingshilfe am vergangenen Donnerstag eine Simulation mit Sekundarschülern durch.

Die Sekundarschüler werden gefangen genommen: Die Simulation wurde zum intensiven Erlebnis.  Foto: Axel Mannigel
Die Sekundarschüler werden gefangen genommen: Die Simulation wurde zum intensiven Erlebnis. Foto: Axel Mannigel

Axel Mannigel

Trotz des Krieges ist es eine friedliche Szene: In einem Dorf, das bis jetzt verschont geblieben ist, veranstaltet der Bürgermeister ein Fest, um die Unversehrtheit zu feiern. Die Menschen machen sich schön und strömen auf den Dorfplatz. Wer weiss, ob und wann sie noch einmal feiern können. Plötzlich fallen Schüsse. Maskierte springen auf den Platz und brüllen Befehle. Die Menschen sind verwirrt, haben Angst, müssen sich auf den Boden legen. «Schnell, schnell!», hallt es immer wieder über den Platz. Die Maskierten nehmen die Dorfbewohner gefangen und bringen sie fort.

«So eine Szene ist in vielen Ländern an der Tagesordnung», erklärt Lisa Brotbek, Bildungskoordinatorin bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Deshalb ist die Episode auch wichtiger Bestandteil der knapp 75-minütigen Simulation, welche die SFH in Arlesheim durchführte. Organisiert vom evangelischen Pfarramt Arlesheim und der Sekundarschule Gerenmatte, beschäftigten sich die Jugendlichen am Mittwoch und Donnerstag mit dem Thema «Flucht und Asyl».

«Mir ist es wichtig, den Zahlen ein Gesicht zu geben und die jungen Menschen für dieses tragische Thema zu sensibilisieren», so Initiator und Pfarrer Thomas Mory. Denn die Zahlen sind erschreckend: Rund 60 Millionen Menschen waren 2014 auf der Flucht. Allein im Mittelmeer starben etwa 3500 von ihnen beim Versuch, in alten, überfüllten Booten nach Europa zu kommen. Und mit der temporären Unterbringung von 100 Flüchtlingen in einer Zivilschutzanlage gibt es in Arlesheim zufällig einen aktuellen Bezug zu den Projekttagen.

Realistisches Setting
Nach dem Überfall auf dem Dorfplatz bringen die Maskierten die Dorfbewohner auf eine Wiese. Klar: Die Dörfler sind die Sekundarschüler, die Maskierten Mitarbeitende der SFH. Doch die Simulation entwickelt eine eigene, intensive Dramatik, der sich die Schüler mit zunehmender Dauer nicht entziehen können. Vor der Simulation hatten sie neue Namen bekommen, wurden Familien zugeordnet und mussten in Rollen schlüpfen. Auf der Wiese werden sie schikaniert und erniedrigt. «Findest du das lustig?», brüllt ein Maskierter einen Schüler an, der versucht, das ganze mit Humor zu meistern. Zur «Strafe» muss er ein Lied singen und Liegestütze machen. Was hier irgendwie lächerlich erscheint, ist in den Kriegsgebieten dieser Welt blutiger Ernst mit möglicher Todesfolge. Soweit kommt es in der Gerenmatte natürlich nicht.

Nächste Station ist der Bunker unter dem Schulhaus. Alle Dorfbewohner werden in einen dunklen Raum gesperrt, nur das Licht einer Taschenlampe spielt gespenstisch an der Wand. Die Maskierten machen den Bürgermeister ausfindig, zerren ihn vor die Tür und – zumindest klingt es so – foltern ihn. Drinnen schreien die Schüler, die Nerven liegen blank. Doch die Tür geht wieder auf und zwei Schlepper kommen herein. Listig nehmen sie den Dorfbewohnern alles ab: Handys, Schlüssel, Schmuck. Dann gehts durch das Bunkersystem auf die Flucht bis knapp vor die Grenze, wo sich die Schlepper aus dem Staub machen. Das gesamte Setting ist sehr realistisch und Mory sowie diverse Lehrpersonen staunen über die Authentizität der Simulation.

Engagierte Jugendliche
An der Grenze merken die Schüler, wie schwer es ist hinüber zu kommen. Sie verstehen den Grenzer nicht, der unverständlich auf sie einredet und immer mit irgendwelchen Formularen herumfuchtelt. Nach und nach dürfen die einzelnen Familien den Schlagbaum jedoch passieren. Auf der anderen Seite werden sie von Mitarbeitenden des UNHCR- Hilfswerks empfangen. Nach einer fast schon entwürdigenden Mundkontrolle, Impfung und Desinfektion wird ihnen ein extrem kleiner Platz in einem imaginären Zelt zugewiesen. Die Hilfskräfte informieren sie, dass Lebensmittel und Medikamente erschöpft seien und der Konvoi mit Nachschub überfallen wurde. In dieser prekären Situation beschliessen alle Familien weiterzuziehen – die Simulation ist vorbei.

Tief beeindruckt
Waren die Schüler vor dem Rollenspiel noch aufgekratzt, so sitzen sie jetzt erschöpft und ernst, aber sehr konzentriert im Klassenraum. Lisa Brotbek führt nach einer kurzen Pause nochmals durch die einzelnen Stationen der Flucht und bringt sie zusammen mit echten Begebenheiten in Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien und dem Irak. Die Jugendlichen sind ganz bei der Sache und antworten engagiert auf Brotbeks Fragen. Es wird deutlich, dass sie das Thema beschäftigt und dass sie beeindruckt sind. Von der eigenen Erfahrung, dem Leid und Elend, den erschreckenden Zahlen, den Gefahren wie Minenfeldern und dem grössten Flüchtlingslager der Welt in Kenia, in dem manche Familien schon seit drei Generationen leben. Sensibilisierung gelungen.

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